Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Und darin besteht doch eigentlich die ganze Kunst
und Lust, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬
stehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert
stehen geblieben. Höchstseltsam! sagte er endlich,
als sie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten,
diese Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Aussich¬
ten, erinnern mich ganz deutlich an gewisse Gegen¬
den, die ich in Italien gesehen, und an manchen,
glücklich durchschwärmten Abend. Es ist wahrhaftig
mehr als eine zufällige Täuschung.

Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als
sie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬
langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬
blicke überrascht, der sich ihnen dort von oben dar¬
bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬
merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬
men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem
Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, schifften. Wie
glücklich, sagte Friedrich, ist eine beruhigte, stille
Seele, die im Stande ist, so besonnen und gleich¬
förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu
schaffen, die, von keiner besonderen Leidenschaft mehr
gestört, auf der schönen Erde, wie in der Vorhalle
des grösseren Tempels, wohnt!

Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde
unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten.
Bald darauf hörten sie einen Gesang. Friedrich
horchte voll Erstaunen, denn es war dasselbe son¬
derbare Lied aus seiner Kindheit, das manchmal

10 *

Und darin beſteht doch eigentlich die ganze Kunſt
und Luſt, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬
ſtehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert
ſtehen geblieben. Höchſtſeltſam! ſagte er endlich,
als ſie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten,
dieſe Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Ausſich¬
ten, erinnern mich ganz deutlich an gewiſſe Gegen¬
den, die ich in Italien geſehen, und an manchen,
glücklich durchſchwärmten Abend. Es iſt wahrhaftig
mehr als eine zufällige Täuſchung.

Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als
ſie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬
langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬
blicke überraſcht, der ſich ihnen dort von oben dar¬
bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬
merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬
men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem
Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, ſchifften. Wie
glücklich, ſagte Friedrich, iſt eine beruhigte, ſtille
Seele, die im Stande iſt, ſo beſonnen und gleich¬
förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu
ſchaffen, die, von keiner beſonderen Leidenſchaft mehr
geſtört, auf der ſchönen Erde, wie in der Vorhalle
des gröſſeren Tempels, wohnt!

Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde
unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten.
Bald darauf hörten ſie einen Geſang. Friedrich
horchte voll Erſtaunen, denn es war daſſelbe ſon¬
derbare Lied aus ſeiner Kindheit, das manchmal

10 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="147"/>
Und darin be&#x017F;teht doch eigentlich die ganze Kun&#x017F;t<lb/>
und Lu&#x017F;t, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬<lb/>
&#x017F;tehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert<lb/>
&#x017F;tehen geblieben. Höch&#x017F;t&#x017F;elt&#x017F;am! &#x017F;agte er endlich,<lb/>
als &#x017F;ie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten,<lb/>
die&#x017F;e Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Aus&#x017F;ich¬<lb/>
ten, erinnern mich ganz deutlich an gewi&#x017F;&#x017F;e Gegen¬<lb/>
den, die ich in Italien ge&#x017F;ehen, und an manchen,<lb/>
glücklich durch&#x017F;chwärmten Abend. Es i&#x017F;t wahrhaftig<lb/>
mehr als eine zufällige Täu&#x017F;chung.</p><lb/>
          <p>Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als<lb/>
&#x017F;ie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬<lb/>
langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬<lb/>
blicke überra&#x017F;cht, der &#x017F;ich ihnen dort von oben dar¬<lb/>
bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬<lb/>
merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬<lb/>
men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem<lb/>
Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, &#x017F;chifften. Wie<lb/>
glücklich, &#x017F;agte Friedrich, i&#x017F;t eine beruhigte, &#x017F;tille<lb/>
Seele, die im Stande i&#x017F;t, &#x017F;o be&#x017F;onnen und gleich¬<lb/>
förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu<lb/>
&#x017F;chaffen, die, von keiner be&#x017F;onderen Leiden&#x017F;chaft mehr<lb/>
ge&#x017F;tört, auf der &#x017F;chönen Erde, wie in der Vorhalle<lb/>
des grö&#x017F;&#x017F;eren Tempels, wohnt!</p><lb/>
          <p>Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde<lb/>
unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten.<lb/>
Bald darauf hörten &#x017F;ie einen Ge&#x017F;ang. Friedrich<lb/>
horchte voll Er&#x017F;taunen, denn es war da&#x017F;&#x017F;elbe &#x017F;on¬<lb/>
derbare Lied aus &#x017F;einer Kindheit, das manchmal<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0153] Und darin beſteht doch eigentlich die ganze Kunſt und Luſt, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬ ſtehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert ſtehen geblieben. Höchſtſeltſam! ſagte er endlich, als ſie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten, dieſe Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Ausſich¬ ten, erinnern mich ganz deutlich an gewiſſe Gegen¬ den, die ich in Italien geſehen, und an manchen, glücklich durchſchwärmten Abend. Es iſt wahrhaftig mehr als eine zufällige Täuſchung. Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als ſie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬ langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬ blicke überraſcht, der ſich ihnen dort von oben dar¬ bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬ merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬ men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, ſchifften. Wie glücklich, ſagte Friedrich, iſt eine beruhigte, ſtille Seele, die im Stande iſt, ſo beſonnen und gleich¬ förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu ſchaffen, die, von keiner beſonderen Leidenſchaft mehr geſtört, auf der ſchönen Erde, wie in der Vorhalle des gröſſeren Tempels, wohnt! Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten. Bald darauf hörten ſie einen Geſang. Friedrich horchte voll Erſtaunen, denn es war daſſelbe ſon¬ derbare Lied aus ſeiner Kindheit, das manchmal 10 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/153
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/153>, abgerufen am 27.11.2024.