dressiren sollte. Vor einigen Tagen endlich kam hier der junge Marquis von P. an, der woll¬ te bestimmt wissen, daß sich mein Bruder mit einem fremden Herrn auf dem Guthe des Hrn. v. A. aufhalte. Ich eilte also, sogleich an Dich dorthin zu schreiben. Der Marquis verwun¬ derte sich zugleich, wie ihr es dort so lange aushalten könntet. Er sagte, es wäre ein Sejour zum melancholischwerden. Mit der gan¬ zen Familie wäre in der Welt nichts anzufan¬ gen. Der Baron sey wie ein Holzstich in den alten Rittergeschichten: gedruckt in diesem Jahr, die Tante wisse von nichts zu sprechen, als von ihrer Wirthschaft, und das Fräulein vom Haus sey ein halbreifes Gänseblümchen, ein rechtes Bild ohne Gnaden. Sind das nicht recht närrische Einfälle? Wahrhaftig, man muß dem Marquis gut seyn mit seinem losen Maule. Siehst Du, es ist Dein Glück, denn ich hatte schon große Lust eifersüchtig zu wer¬ den. Aber ich kenne schon meinen Bruder, sol¬ che Bekanntschaften sind ihm immer die liebsten; er läßt sich nichts einreden. Ich bitte Dich aber, sage ihm nichts von alle diesem. Denn er kann sich ohnedieß von jeher mit dem Mar¬ quis nicht vertragen. Er hat sich schon einige¬ mal mit ihm geschlagen und der Marquis hat über der lezten Wunde über ein Vierteljahr zubringen müssen. Er fängt immer selber ohne allen Anlaß Händel mit ihm an. Ich weiß gar
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dreſſiren ſollte. Vor einigen Tagen endlich kam hier der junge Marquis von P. an, der woll¬ te beſtimmt wiſſen, daß ſich mein Bruder mit einem fremden Herrn auf dem Guthe des Hrn. v. A. aufhalte. Ich eilte alſo, ſogleich an Dich dorthin zu ſchreiben. Der Marquis verwun¬ derte ſich zugleich, wie ihr es dort ſo lange aushalten könntet. Er ſagte, es wäre ein Séjour zum melancholiſchwerden. Mit der gan¬ zen Familie wäre in der Welt nichts anzufan¬ gen. Der Baron ſey wie ein Holzſtich in den alten Rittergeſchichten: gedruckt in dieſem Jahr, die Tante wiſſe von nichts zu ſprechen, als von ihrer Wirthſchaft, und das Fräulein vom Haus ſey ein halbreifes Gänſeblümchen, ein rechtes Bild ohne Gnaden. Sind das nicht recht närriſche Einfälle? Wahrhaftig, man muß dem Marquis gut ſeyn mit ſeinem loſen Maule. Siehſt Du, es iſt Dein Glück, denn ich hatte ſchon große Luſt eiferſüchtig zu wer¬ den. Aber ich kenne ſchon meinen Bruder, ſol¬ che Bekanntſchaften ſind ihm immer die liebſten; er läßt ſich nichts einreden. Ich bitte Dich aber, ſage ihm nichts von alle dieſem. Denn er kann ſich ohnedieß von jeher mit dem Mar¬ quis nicht vertragen. Er hat ſich ſchon einige¬ mal mit ihm geſchlagen und der Marquis hat über der lezten Wunde über ein Vierteljahr zubringen müſſen. Er fängt immer ſelber ohne allen Anlaß Händel mit ihm an. Ich weiß gar
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dreſſiren ſollte. Vor einigen Tagen endlich kam
hier der junge Marquis von P. an, der woll¬
te beſtimmt wiſſen, daß ſich mein Bruder mit
einem fremden Herrn auf dem Guthe des Hrn.
v. A. aufhalte. Ich eilte alſo, ſogleich an Dich
dorthin zu ſchreiben. Der Marquis verwun¬
derte ſich zugleich, wie ihr es dort ſo lange
aushalten könntet. Er ſagte, es wäre ein
Séjour zum melancholiſchwerden. Mit der gan¬
zen Familie wäre in der Welt nichts anzufan¬
gen. Der Baron ſey wie ein Holzſtich in den
alten Rittergeſchichten: gedruckt in dieſem Jahr,
die Tante wiſſe von nichts zu ſprechen, als
von ihrer Wirthſchaft, und das Fräulein vom
Haus ſey ein halbreifes Gänſeblümchen, ein
rechtes Bild ohne Gnaden. Sind das nicht
recht närriſche Einfälle? Wahrhaftig, man
muß dem Marquis gut ſeyn mit ſeinem loſen
Maule. Siehſt Du, es iſt Dein Glück, denn
ich hatte ſchon große Luſt eiferſüchtig zu wer¬
den. Aber ich kenne ſchon meinen Bruder, ſol¬
che Bekanntſchaften ſind ihm immer die liebſten;
er läßt ſich nichts einreden. Ich bitte Dich
aber, ſage ihm nichts von alle dieſem. Denn
er kann ſich ohnedieß von jeher mit dem Mar¬
quis nicht vertragen. Er hat ſich ſchon einige¬
mal mit ihm geſchlagen und der Marquis hat
über der lezten Wunde über ein Vierteljahr
zubringen müſſen. Er fängt immer ſelber ohne
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/169>, abgerufen am 26.11.2024.
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