nesen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob seine Seele, und er be¬ schloß, nach der Residenz abzureisen.
Er gieng mit dieser Nachricht zu Leontin, aber er fand seine Schlafstube leer und das Bett noch von Gestern in Ordnung. Er gieng daher zu Ju¬ lien hinüber, da er hörte, daß sie schon auf war. Das schöne Mädchen stand in ihrer weissen Mor¬ genkleidung eben am Fenster. Sie kehrte sich schnell zu ihm herum, als er hereintrat. Er ist fort! sag¬ te sie leise mit unterdrückter Stimme, zeigte mit dem Finger auf das Fenster und stellte sich wieder mit abgewendetem Gesicht abseits an das andere. Der erstaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe, die er wahrscheinlich gestern, als er hier allein war, mit seinem Ringe aufgezeichnet hatte. Er las:
Der fleissigen Wirthin von dem Haus
Dank' ich von Herzen für Trank und Schmauß, Und was beym Mahl den Gast erfreut: Für heitre Mien' und Freundlichkeit.
Dem Herrn von Haus sey Lob und Preiß!
Seinen Segen wünsch' ich mir auf die Reis', Nach seiner Lieb' mich sehr begehrt, Wie ich ihn halte Ehrenwerth.
Herr Viktor soll bethen und fleissig seyn,
Denn der Teufel lauert, wo Einer allein Soll lustig auf dem Kopfe steh'n, Wenn alle so dumm auf den Beinen geh'n.
neſen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des feſten religiöſen Willens wurde wieder ſtark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob ſeine Seele, und er be¬ ſchloß, nach der Reſidenz abzureiſen.
Er gieng mit dieſer Nachricht zu Leontin, aber er fand ſeine Schlafſtube leer und das Bett noch von Geſtern in Ordnung. Er gieng daher zu Ju¬ lien hinüber, da er hörte, daß ſie ſchon auf war. Das ſchöne Mädchen ſtand in ihrer weiſſen Mor¬ genkleidung eben am Fenſter. Sie kehrte ſich ſchnell zu ihm herum, als er hereintrat. Er iſt fort! ſag¬ te ſie leiſe mit unterdrückter Stimme, zeigte mit dem Finger auf das Fenſter und ſtellte ſich wieder mit abgewendetem Geſicht abſeits an das andere. Der erſtaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe, die er wahrſcheinlich geſtern, als er hier allein war, mit ſeinem Ringe aufgezeichnet hatte. Er las:
Der fleiſſigen Wirthin von dem Haus
Dank' ich von Herzen für Trank und Schmauß, Und was beym Mahl den Gaſt erfreut: Für heitre Mien' und Freundlichkeit.
Dem Herrn von Haus ſey Lob und Preiß!
Seinen Segen wünſch' ich mir auf die Reiſ', Nach ſeiner Lieb' mich ſehr begehrt, Wie ich ihn halte Ehrenwerth.
Herr Viktor ſoll bethen und fleiſſig ſeyn,
Denn der Teufel lauert, wo Einer allein Soll luſtig auf dem Kopfe ſteh'n, Wenn alle ſo dumm auf den Beinen geh'n.
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neſen, und der Glaube an die ewige Gewalt der
Wahrheit und des feſten religiöſen Willens wurde
wieder ſtark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was
noch zu retten war, erhob ſeine Seele, und er be¬
ſchloß, nach der Reſidenz abzureiſen.
Er gieng mit dieſer Nachricht zu Leontin, aber
er fand ſeine Schlafſtube leer und das Bett noch
von Geſtern in Ordnung. Er gieng daher zu Ju¬
lien hinüber, da er hörte, daß ſie ſchon auf war.
Das ſchöne Mädchen ſtand in ihrer weiſſen Mor¬
genkleidung eben am Fenſter. Sie kehrte ſich ſchnell
zu ihm herum, als er hereintrat. Er iſt fort! ſag¬
te ſie leiſe mit unterdrückter Stimme, zeigte mit
dem Finger auf das Fenſter und ſtellte ſich wieder
mit abgewendetem Geſicht abſeits an das andere.
Der erſtaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift
auf der Scheibe, die er wahrſcheinlich geſtern, als
er hier allein war, mit ſeinem Ringe aufgezeichnet
hatte. Er las:
Der fleiſſigen Wirthin von dem Haus
Dank' ich von Herzen für Trank und Schmauß,
Und was beym Mahl den Gaſt erfreut:
Für heitre Mien' und Freundlichkeit.
Dem Herrn von Haus ſey Lob und Preiß!
Seinen Segen wünſch' ich mir auf die Reiſ',
Nach ſeiner Lieb' mich ſehr begehrt,
Wie ich ihn halte Ehrenwerth.
Herr Viktor ſoll bethen und fleiſſig ſeyn,
Denn der Teufel lauert, wo Einer allein
Soll luſtig auf dem Kopfe ſteh'n,
Wenn alle ſo dumm auf den Beinen geh'n.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/172>, abgerufen am 26.11.2024.
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