fort, setzte ich mich endlich auf die Erde nieder und weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir ein Geräusch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬ vor und hinterdrein der Reiter. -- Es war ein wilder Knabe, der Mond schien ihm hell ins Ge¬ sicht; wie schön und herrlich er anzusehen war, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Er stutzte, als er mich erblickte, und staunend standen wir so vorein¬ ander. Erst lange darauf frug er mich, wie ich hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬ te vor Verwirrung nicht antworten, sondern stand still vor ihm und sah ihn an. Da hob er mich schnell vor sich auf sein Roß, umschlang mich fest mit ei¬ nem Arme, und ritt so mit mir davon. Ich fragte nicht: wohin? denn Lust und Furcht war so ge¬ mischt in seinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬ der wünschte noch wagte, von ihm zu scheiden. Un¬ terweges bat er mich freundlich um ein Andenken. Ich zog stillschweigend meinen Ring vom Finger und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬ ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬ derung, auf einmal vor unser Schloß gekommen. Der Jäger setzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬ te schnell wieder in den Wald zurück.
Aber mir scheint gar, Du glaubst mir wirklich alles das Zeug da, sagte hier die Gräfin, da sie Rosa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬ gessen und mit großen Augen zuhorchen sah. -- Und ist es denn nicht wahr? fragte Rosa. -- So, so, erwiederte die Gräfin, es ist eigentlich mein Lebens¬
fort, ſetzte ich mich endlich auf die Erde nieder und weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir ein Geräuſch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬ vor und hinterdrein der Reiter. — Es war ein wilder Knabe, der Mond ſchien ihm hell ins Ge¬ ſicht; wie ſchön und herrlich er anzuſehen war, kann ich mit Worten nicht beſchreiben. Er ſtutzte, als er mich erblickte, und ſtaunend ſtanden wir ſo vorein¬ ander. Erſt lange darauf frug er mich, wie ich hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬ te vor Verwirrung nicht antworten, ſondern ſtand ſtill vor ihm und ſah ihn an. Da hob er mich ſchnell vor ſich auf ſein Roß, umſchlang mich feſt mit ei¬ nem Arme, und ritt ſo mit mir davon. Ich fragte nicht: wohin? denn Luſt und Furcht war ſo ge¬ miſcht in ſeinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬ der wünſchte noch wagte, von ihm zu ſcheiden. Un¬ terweges bat er mich freundlich um ein Andenken. Ich zog ſtillſchweigend meinen Ring vom Finger und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬ ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬ derung, auf einmal vor unſer Schloß gekommen. Der Jäger ſetzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬ te ſchnell wieder in den Wald zurück.
Aber mir ſcheint gar, Du glaubſt mir wirklich alles das Zeug da, ſagte hier die Gräfin, da ſie Roſa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬ geſſen und mit großen Augen zuhorchen ſah. — Und iſt es denn nicht wahr? fragte Roſa. — So, ſo, erwiederte die Gräfin, es iſt eigentlich mein Lebens¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0196"n="190"/>
fort, ſetzte ich mich endlich auf die Erde nieder und<lb/>
weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir<lb/>
ein Geräuſch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬<lb/>
vor und hinterdrein der Reiter. — Es war ein<lb/>
wilder Knabe, der Mond ſchien ihm hell ins Ge¬<lb/>ſicht; wie ſchön und herrlich er anzuſehen war, kann<lb/>
ich mit Worten nicht beſchreiben. Er ſtutzte, als er<lb/>
mich erblickte, und ſtaunend ſtanden wir ſo vorein¬<lb/>
ander. Erſt lange darauf frug er mich, wie ich<lb/>
hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬<lb/>
te vor Verwirrung nicht antworten, ſondern ſtand<lb/>ſtill vor ihm und ſah ihn an. Da hob er mich ſchnell<lb/>
vor ſich auf ſein Roß, umſchlang mich feſt mit ei¬<lb/>
nem Arme, und ritt ſo mit mir davon. Ich fragte<lb/>
nicht: wohin? denn Luſt und Furcht war ſo ge¬<lb/>
miſcht in ſeinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬<lb/>
der wünſchte noch wagte, von ihm zu ſcheiden. Un¬<lb/>
terweges bat er mich freundlich um ein Andenken.<lb/>
Ich zog ſtillſchweigend meinen Ring vom Finger<lb/>
und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬<lb/>
ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬<lb/>
derung, auf einmal vor unſer Schloß gekommen.<lb/>
Der Jäger ſetzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬<lb/>
te ſchnell wieder in den Wald zurück.</p><lb/><p>Aber mir ſcheint gar, Du glaubſt mir wirklich<lb/>
alles das Zeug da, ſagte hier die Gräfin, da ſie<lb/>
Roſa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬<lb/>
geſſen und mit großen Augen zuhorchen ſah. — Und<lb/>
iſt es denn nicht wahr? fragte Roſa. — So, ſo,<lb/>
erwiederte die Gräfin, es iſt eigentlich mein Lebens¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[190/0196]
fort, ſetzte ich mich endlich auf die Erde nieder und
weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir
ein Geräuſch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬
vor und hinterdrein der Reiter. — Es war ein
wilder Knabe, der Mond ſchien ihm hell ins Ge¬
ſicht; wie ſchön und herrlich er anzuſehen war, kann
ich mit Worten nicht beſchreiben. Er ſtutzte, als er
mich erblickte, und ſtaunend ſtanden wir ſo vorein¬
ander. Erſt lange darauf frug er mich, wie ich
hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬
te vor Verwirrung nicht antworten, ſondern ſtand
ſtill vor ihm und ſah ihn an. Da hob er mich ſchnell
vor ſich auf ſein Roß, umſchlang mich feſt mit ei¬
nem Arme, und ritt ſo mit mir davon. Ich fragte
nicht: wohin? denn Luſt und Furcht war ſo ge¬
miſcht in ſeinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬
der wünſchte noch wagte, von ihm zu ſcheiden. Un¬
terweges bat er mich freundlich um ein Andenken.
Ich zog ſtillſchweigend meinen Ring vom Finger
und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬
ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬
derung, auf einmal vor unſer Schloß gekommen.
Der Jäger ſetzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬
te ſchnell wieder in den Wald zurück.
Aber mir ſcheint gar, Du glaubſt mir wirklich
alles das Zeug da, ſagte hier die Gräfin, da ſie
Roſa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬
geſſen und mit großen Augen zuhorchen ſah. — Und
iſt es denn nicht wahr? fragte Roſa. — So, ſo,
erwiederte die Gräfin, es iſt eigentlich mein Lebens¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/196>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.