Tausend Stimmen lockend schlagen, Hoch Aurora flammend weht, Fahre zu! ich mag nicht fragen, Wo die Farth zu Ende geht!
Was macht dein Bruder Leontin? fragte sie schnellabbrechend und legte die Guitarre, in Gedan¬ ken versunken, hin. Wie kommst du jetzt auf den? fragte Rosa verwundert. Er sagt von mir, antwor¬ tete die Gräfin, ich sey wie eine Flöte, in der viel himmlischer Klang, aber das frische Holz habe sich geworfen, habe einen genialischen Sprung, und so tauge doch am Ende das ganze Instrument nichts. Das fiel mir eben jezt ein.
Rosa war froh, daß grade der Bediente her¬ eintrat und meldete, daß die Pferde zum Spa¬ zierritte bereit seyen. Denn die Reden der Grä¬ fin hatten sie heute mehr gepreßt und beängstigt, als sie zeigte, und wäre Friedrich, nach dessen immer beruhigenden Gesprächen sie hier gar oft eine aufrichtige Sehnsucht fühlte, in diesem Augen¬ blicke hereingetreten, sie wäre ihm gewiß mit einer Leidenschaft um den Hals gefallen, die ihn in Ver¬ wunderung gesezt hätte.
Friedrich hatte bis weit in den Tag hineinge¬ schlafen oder vielmehr geträumt und stand unerquickt und nüchtern auf. Die alte, schöne Gewohnheit, beym ersten Erwachen in die rüstige, freye Morgen¬ pracht hinauszutreten, und auf hohem Berge oder im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag
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Tauſend Stimmen lockend ſchlagen, Hoch Aurora flammend weht, Fahre zu! ich mag nicht fragen, Wo die Farth zu Ende geht!
Was macht dein Bruder Leontin? fragte ſie ſchnellabbrechend und legte die Guitarre, in Gedan¬ ken verſunken, hin. Wie kommſt du jetzt auf den? fragte Roſa verwundert. Er ſagt von mir, antwor¬ tete die Gräfin, ich ſey wie eine Flöte, in der viel himmliſcher Klang, aber das friſche Holz habe ſich geworfen, habe einen genialiſchen Sprung, und ſo tauge doch am Ende das ganze Inſtrument nichts. Das fiel mir eben jezt ein.
Roſa war froh, daß grade der Bediente her¬ eintrat und meldete, daß die Pferde zum Spa¬ zierritte bereit ſeyen. Denn die Reden der Grä¬ fin hatten ſie heute mehr gepreßt und beängſtigt, als ſie zeigte, und wäre Friedrich, nach deſſen immer beruhigenden Geſprächen ſie hier gar oft eine aufrichtige Sehnſucht fühlte, in dieſem Augen¬ blicke hereingetreten, ſie wäre ihm gewiß mit einer Leidenſchaft um den Hals gefallen, die ihn in Ver¬ wunderung geſezt hätte.
Friedrich hatte bis weit in den Tag hineinge¬ ſchlafen oder vielmehr geträumt und ſtand unerquickt und nüchtern auf. Die alte, ſchöne Gewohnheit, beym erſten Erwachen in die rüſtige, freye Morgen¬ pracht hinauszutreten, und auf hohem Berge oder im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag
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Tauſend Stimmen lockend ſchlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Farth zu Ende geht!
Was macht dein Bruder Leontin? fragte ſie
ſchnellabbrechend und legte die Guitarre, in Gedan¬
ken verſunken, hin. Wie kommſt du jetzt auf den?
fragte Roſa verwundert. Er ſagt von mir, antwor¬
tete die Gräfin, ich ſey wie eine Flöte, in der viel
himmliſcher Klang, aber das friſche Holz habe ſich
geworfen, habe einen genialiſchen Sprung, und ſo
tauge doch am Ende das ganze Inſtrument nichts.
Das fiel mir eben jezt ein.
Roſa war froh, daß grade der Bediente her¬
eintrat und meldete, daß die Pferde zum Spa¬
zierritte bereit ſeyen. Denn die Reden der Grä¬
fin hatten ſie heute mehr gepreßt und beängſtigt,
als ſie zeigte, und wäre Friedrich, nach deſſen
immer beruhigenden Geſprächen ſie hier gar oft
eine aufrichtige Sehnſucht fühlte, in dieſem Augen¬
blicke hereingetreten, ſie wäre ihm gewiß mit einer
Leidenſchaft um den Hals gefallen, die ihn in Ver¬
wunderung geſezt hätte.
Friedrich hatte bis weit in den Tag hineinge¬
ſchlafen oder vielmehr geträumt und ſtand unerquickt
und nüchtern auf. Die alte, ſchöne Gewohnheit,
beym erſten Erwachen in die rüſtige, freye Morgen¬
pracht hinauszutreten, und auf hohem Berge oder
im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/199>, abgerufen am 23.11.2024.
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