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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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von jenen beyden Flausenmachern aufgefallen. Er
hatte sich während der ganzen Zeit, ohne sich um
die Verhandlungen der anderen zu bekümmern, aus¬
schließlich mit der Frau vom Haus unterhalten, mit
der er Eine Seele zu seyn schien. Ihre Unterhal¬
tung mußte sehr zart seyn, wie man von dem sü¬
ßen, zugespitzten Munde beyder abnehmen konnte,
und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute,
wie: "mein ganzes Leben wird zum Roman" --
"überschwenglichreiches Gemüth" "Priesterle¬
ben" -- herüberschallen. Endlich zog auch dieser
ein ungeheueres Paket Papiere aus der Tasche und
begann vorzulesen, unter anderen folgendes Asso¬
nanzenlied :

Hat nun Lenz die silbern'n Brounen
Losgebunden:
Knie' ich nieder, süßbeklommen,
In die Wunder.
Himmelreich, so kommt geschwommen
Auf die Wunden!
Hast Du einzig mich erkohren
Zu den Wundern?
In die Ferne süß verlohren,
Lieder fluthen,
Daß sie, rückwärts sanft erschollen,
Bringen Kunde.
Was die andern sorgen wollen,
Ist mir dunkel,
Mir will ew'ger Durst nur frommen
Nach dem Durste.

von jenen beyden Flauſenmachern aufgefallen. Er
hatte ſich während der ganzen Zeit, ohne ſich um
die Verhandlungen der anderen zu bekümmern, aus¬
ſchließlich mit der Frau vom Haus unterhalten, mit
der er Eine Seele zu ſeyn ſchien. Ihre Unterhal¬
tung mußte ſehr zart ſeyn, wie man von dem ſü¬
ßen, zugeſpitzten Munde beyder abnehmen konnte,
und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute,
wie: „mein ganzes Leben wird zum Roman“ —
„überſchwenglichreiches Gemüth“ „Prieſterle¬
ben“ — herüberſchallen. Endlich zog auch dieſer
ein ungeheueres Paket Papiere aus der Taſche und
begann vorzuleſen, unter anderen folgendes Aſſo¬
nanzenlied :

Hat nun Lenz die ſilbern'n Brounen
Losgebunden:
Knie' ich nieder, ſüßbeklommen,
In die Wunder.
Himmelreich, ſo kommt geſchwommen
Auf die Wunden!
Haſt Du einzig mich erkohren
Zu den Wundern?
In die Ferne ſüß verlohren,
Lieder fluthen,
Daß ſie, rückwärts ſanft erſchollen,
Bringen Kunde.
Was die andern ſorgen wollen,
Iſt mir dunkel,
Mir will ew'ger Durſt nur frommen
Nach dem Durſte.
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[206/0212] von jenen beyden Flauſenmachern aufgefallen. Er hatte ſich während der ganzen Zeit, ohne ſich um die Verhandlungen der anderen zu bekümmern, aus¬ ſchließlich mit der Frau vom Haus unterhalten, mit der er Eine Seele zu ſeyn ſchien. Ihre Unterhal¬ tung mußte ſehr zart ſeyn, wie man von dem ſü¬ ßen, zugeſpitzten Munde beyder abnehmen konnte, und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute, wie: „mein ganzes Leben wird zum Roman“ — „überſchwenglichreiches Gemüth“ „Prieſterle¬ ben“ — herüberſchallen. Endlich zog auch dieſer ein ungeheueres Paket Papiere aus der Taſche und begann vorzuleſen, unter anderen folgendes Aſſo¬ nanzenlied : Hat nun Lenz die ſilbern'n Brounen Losgebunden: Knie' ich nieder, ſüßbeklommen, In die Wunder. Himmelreich, ſo kommt geſchwommen Auf die Wunden! Haſt Du einzig mich erkohren Zu den Wundern? In die Ferne ſüß verlohren, Lieder fluthen, Daß ſie, rückwärts ſanft erſchollen, Bringen Kunde. Was die andern ſorgen wollen, Iſt mir dunkel, Mir will ew'ger Durſt nur frommen Nach dem Durſte.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/212>, abgerufen am 23.11.2024.