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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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So hatte auch heute Friedrich den ganzen Thee
versalzen. Keiner konnte das künstlerische Weber¬
schiffchen, das sonst, fein im Takte, so zarte ästhe¬
tische Abende wob, wieder in Gang bringen. Die
meisten wurden mißlaunisch, keiner konnte oder
mochte, wie beym babylonischen Baue, des ande¬
ren Wortgepräng verstehen, und so beleidigte ei¬
ner den andern in der gänzlichen Verwirrung.
Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abschied,
die Gesellschaft wurde kleiner und vereinzelter. Die
Damen gruppirten sich hin und wieder auf den Ot¬
tomannen in malerischen und ziemlich unanständigen
Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches
Verständniß zwischen der Frau vom Haus und dem
Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr
ein feines Liebäugeln zu entdecken, d[a]s ihn selber
zu gelten schien. Er fand sie überhaupt viel schlauer,
als man anfänglich ihrer lispelnden Sanftmuth hät¬
te zutrauen mögen; sie schien ihren schmachtenden
Liebhaber bey weitem zu übersehen, und, sehr auf¬
geklärt, selber nicht so viel von ihm zu halten, als
sie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte.

Wie ein rüstiger Jäger in frischer Morgen¬
schönheit stand Friedrich unter diesen verwischten Le¬
bensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog
ihn an. Schon das Gedicht, das sie rezitirt, hat¬
te ihn auf sie aufmerksam gemacht und auf die ei¬
genthümliche, von allen den andern verschiedene
Richtung ihres Geistes. Er glaubte schon damals

eine

So hatte auch heute Friedrich den ganzen Thee
verſalzen. Keiner konnte das künſtleriſche Weber¬
ſchiffchen, das ſonſt, fein im Takte, ſo zarte äſthe¬
tiſche Abende wob, wieder in Gang bringen. Die
meiſten wurden mißlauniſch, keiner konnte oder
mochte, wie beym babyloniſchen Baue, des ande¬
ren Wortgepräng verſtehen, und ſo beleidigte ei¬
ner den andern in der gänzlichen Verwirrung.
Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abſchied,
die Geſellſchaft wurde kleiner und vereinzelter. Die
Damen gruppirten ſich hin und wieder auf den Ot¬
tomannen in maleriſchen und ziemlich unanſtändigen
Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches
Verſtändniß zwiſchen der Frau vom Haus und dem
Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr
ein feines Liebäugeln zu entdecken, d[a]s ihn ſelber
zu gelten ſchien. Er fand ſie überhaupt viel ſchlauer,
als man anfänglich ihrer liſpelnden Sanftmuth hät¬
te zutrauen mögen; ſie ſchien ihren ſchmachtenden
Liebhaber bey weitem zu überſehen, und, ſehr auf¬
geklärt, ſelber nicht ſo viel von ihm zu halten, als
ſie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte.

Wie ein rüſtiger Jäger in friſcher Morgen¬
ſchönheit ſtand Friedrich unter dieſen verwiſchten Le¬
bensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog
ihn an. Schon das Gedicht, das ſie rezitirt, hat¬
te ihn auf ſie aufmerkſam gemacht und auf die ei¬
genthümliche, von allen den andern verſchiedene
Richtung ihres Geiſtes. Er glaubte ſchon damals

eine
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[224/0230] So hatte auch heute Friedrich den ganzen Thee verſalzen. Keiner konnte das künſtleriſche Weber¬ ſchiffchen, das ſonſt, fein im Takte, ſo zarte äſthe¬ tiſche Abende wob, wieder in Gang bringen. Die meiſten wurden mißlauniſch, keiner konnte oder mochte, wie beym babyloniſchen Baue, des ande¬ ren Wortgepräng verſtehen, und ſo beleidigte ei¬ ner den andern in der gänzlichen Verwirrung. Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abſchied, die Geſellſchaft wurde kleiner und vereinzelter. Die Damen gruppirten ſich hin und wieder auf den Ot¬ tomannen in maleriſchen und ziemlich unanſtändigen Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches Verſtändniß zwiſchen der Frau vom Haus und dem Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr ein feines Liebäugeln zu entdecken, das ihn ſelber zu gelten ſchien. Er fand ſie überhaupt viel ſchlauer, als man anfänglich ihrer liſpelnden Sanftmuth hät¬ te zutrauen mögen; ſie ſchien ihren ſchmachtenden Liebhaber bey weitem zu überſehen, und, ſehr auf¬ geklärt, ſelber nicht ſo viel von ihm zu halten, als ſie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte. Wie ein rüſtiger Jäger in friſcher Morgen¬ ſchönheit ſtand Friedrich unter dieſen verwiſchten Le¬ bensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog ihn an. Schon das Gedicht, das ſie rezitirt, hat¬ te ihn auf ſie aufmerkſam gemacht und auf die ei¬ genthümliche, von allen den andern verſchiedene Richtung ihres Geiſtes. Er glaubte ſchon damals eine

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/230>, abgerufen am 23.11.2024.