zwey verhüllten Männern gehört hatte. -- Er er¬ schrack innerlichst über diese Entdeckung. Er dachte an das arme Bürgermädchen, an Leontins Haß gegen den Prinzen, an die verlorene Marie, an alle die schönen auf immer vergangenen Zeiten und stürzte sich wieder hinunter in das lustige Schneege¬ stöber.
Als er nach Hause kam, fand er Erwin auf dem Sopha eingeschlummert. Schreibzeug lag um¬ her, er schien geschrieben zu haben. Er lag auf dem Rücken, in der rechten Hand, die auf dem Herzen ruhte, hielt er ein zusammengelegtes Papier lose zwischen den Fingern. Friedrich hielt es für einen Brief, da es immer Erwins liebstes Geschäft war, ihn mit den neuangekommenen Briefen bey seiner Nachhausekunft selbst zu überraschen. Er zog es dem Knaben leise aus der Hand und machte es, ohne es näher zu betrachten, schnell auf.
Er las: "Die Wolken zieh'n immerfort, die Nacht ist so finster. Wo führst du mich hin, wun¬ derbarer Schiffer? Die Wolken und das Meer ha¬ ben kein Ende, die Welt ist so groß und still, es ist entsetzlich, allein zu seyn. --" Weiter unten stand: "Liebe Julie, denkst du noch daran, wie wir im Garten unter den hohen Blumen sassen und spielten und sangen, die Sonne schien warm, Du warst so gut. Seitdem hat niemand mehr Mitleid mit mir." -- Wieder weiter: "Ich kann nicht länger schweigen, der Neid drückt mir das Herz ab." -- Friedrich bemerkte erst jezt, daß das Pa¬
zwey verhüllten Männern gehört hatte. — Er er¬ ſchrack innerlichſt über dieſe Entdeckung. Er dachte an das arme Bürgermädchen, an Leontins Haß gegen den Prinzen, an die verlorene Marie, an alle die ſchönen auf immer vergangenen Zeiten und ſtürzte ſich wieder hinunter in das luſtige Schneege¬ ſtöber.
Als er nach Hauſe kam, fand er Erwin auf dem Sopha eingeſchlummert. Schreibzeug lag um¬ her, er ſchien geſchrieben zu haben. Er lag auf dem Rücken, in der rechten Hand, die auf dem Herzen ruhte, hielt er ein zuſammengelegtes Papier loſe zwiſchen den Fingern. Friedrich hielt es für einen Brief, da es immer Erwins liebſtes Geſchäft war, ihn mit den neuangekommenen Briefen bey ſeiner Nachhauſekunft ſelbſt zu überraſchen. Er zog es dem Knaben leiſe aus der Hand und machte es, ohne es näher zu betrachten, ſchnell auf.
Er las: „Die Wolken zieh'n immerfort, die Nacht iſt ſo finſter. Wo führſt du mich hin, wun¬ derbarer Schiffer? Die Wolken und das Meer ha¬ ben kein Ende, die Welt iſt ſo groß und ſtill, es iſt entſetzlich, allein zu ſeyn. —“ Weiter unten ſtand: „Liebe Julie, denkſt du noch daran, wie wir im Garten unter den hohen Blumen ſaſſen und ſpielten und ſangen, die Sonne ſchien warm, Du warſt ſo gut. Seitdem hat niemand mehr Mitleid mit mir.“ — Wieder weiter: „Ich kann nicht länger ſchweigen, der Neid drückt mir das Herz ab.“ — Friedrich bemerkte erſt jezt, daß das Pa¬
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zwey verhüllten Männern gehört hatte. — Er er¬
ſchrack innerlichſt über dieſe Entdeckung. Er dachte
an das arme Bürgermädchen, an Leontins Haß
gegen den Prinzen, an die verlorene Marie, an
alle die ſchönen auf immer vergangenen Zeiten und
ſtürzte ſich wieder hinunter in das luſtige Schneege¬
ſtöber.
Als er nach Hauſe kam, fand er Erwin auf
dem Sopha eingeſchlummert. Schreibzeug lag um¬
her, er ſchien geſchrieben zu haben. Er lag auf dem
Rücken, in der rechten Hand, die auf dem Herzen
ruhte, hielt er ein zuſammengelegtes Papier loſe
zwiſchen den Fingern. Friedrich hielt es für einen
Brief, da es immer Erwins liebſtes Geſchäft war,
ihn mit den neuangekommenen Briefen bey ſeiner
Nachhauſekunft ſelbſt zu überraſchen. Er zog es dem
Knaben leiſe aus der Hand und machte es, ohne
es näher zu betrachten, ſchnell auf.
Er las: „Die Wolken zieh'n immerfort, die
Nacht iſt ſo finſter. Wo führſt du mich hin, wun¬
derbarer Schiffer? Die Wolken und das Meer ha¬
ben kein Ende, die Welt iſt ſo groß und ſtill, es
iſt entſetzlich, allein zu ſeyn. —“ Weiter unten
ſtand: „Liebe Julie, denkſt du noch daran, wie wir
im Garten unter den hohen Blumen ſaſſen und
ſpielten und ſangen, die Sonne ſchien warm, Du
warſt ſo gut. Seitdem hat niemand mehr Mitleid
mit mir.“ — Wieder weiter: „Ich kann nicht
länger ſchweigen, der Neid drückt mir das Herz
ab.“ — Friedrich bemerkte erſt jezt, daß das Pa¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/274>, abgerufen am 23.11.2024.
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