da ich als Kind in dem Garten gespielt. Ich ver¬ wunderte mich sehr darüber, und mußte auch wie¬ der lachen, wenn ich mich so ansah, und fürchtete mich vor den seltsamen Baumfiguren. Dabey war es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und, daß ich schon einmal groß gewesen, nur ein Traum. Ich sang immerfort ein altes Lied, das ich damals als Kind alle Tage gesungen, und seitdem wieder vergessen habe. Es ist doch seltsam, wie ich es in der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut schon viel nachgesonnen, aber es fällt mir nicht wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie stand seitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich rief ihr zu, Sie sollte herüberkommen. Aber sie antwortete mir nicht, sondern stand still und unbe¬ weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes, weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf Friedrich zu mir. Es war mir, als sähe ich ihn zum erstenmale, und doch war er mir wie längst bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie sonst -- ich habe ihn niemals so gut und freundlich gese¬ hen. Ein schöner Vogel saß mitten im Garten auf einer hohen Blume und sang, daß es mir durch die Seele gieng, meinen Bruder sah ich unten über das glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie vor sich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die Luft hielt, die Sonne schien prächtig. Reisen wir nach Italien! sagte da Friedrich zu mir. -- Ich folgte ihm gleich und wir giengen sehr schnell durch viele schöne Gegenden immer nebeneinander fort.
da ich als Kind in dem Garten geſpielt. Ich ver¬ wunderte mich ſehr darüber, und mußte auch wie¬ der lachen, wenn ich mich ſo anſah, und fürchtete mich vor den ſeltſamen Baumfiguren. Dabey war es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und, daß ich ſchon einmal groß geweſen, nur ein Traum. Ich ſang immerfort ein altes Lied, das ich damals als Kind alle Tage geſungen, und ſeitdem wieder vergeſſen habe. Es iſt doch ſeltſam, wie ich es in der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut ſchon viel nachgeſonnen, aber es fällt mir nicht wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie ſtand ſeitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich rief ihr zu, Sie ſollte herüberkommen. Aber ſie antwortete mir nicht, ſondern ſtand ſtill und unbe¬ weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes, weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf Friedrich zu mir. Es war mir, als ſähe ich ihn zum erſtenmale, und doch war er mir wie längſt bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie ſonſt — ich habe ihn niemals ſo gut und freundlich geſe¬ hen. Ein ſchöner Vogel ſaß mitten im Garten auf einer hohen Blume und ſang, daß es mir durch die Seele gieng, meinen Bruder ſah ich unten über das glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie vor ſich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die Luft hielt, die Sonne ſchien prächtig. Reiſen wir nach Italien! ſagte da Friedrich zu mir. — Ich folgte ihm gleich und wir giengen ſehr ſchnell durch viele ſchöne Gegenden immer nebeneinander fort.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0312"n="306"/>
da ich als Kind in dem Garten geſpielt. Ich ver¬<lb/>
wunderte mich ſehr darüber, und mußte auch wie¬<lb/>
der lachen, wenn ich mich ſo anſah, und fürchtete<lb/>
mich vor den ſeltſamen Baumfiguren. Dabey war<lb/>
es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und,<lb/>
daß ich ſchon einmal groß geweſen, nur ein Traum.<lb/>
Ich ſang immerfort ein altes Lied, das ich damals<lb/>
als Kind alle Tage geſungen, und ſeitdem wieder<lb/>
vergeſſen habe. Es iſt doch ſeltſam, wie ich es in<lb/>
der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut<lb/>ſchon viel nachgeſonnen, aber es fällt mir nicht<lb/>
wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie<lb/>ſtand ſeitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich<lb/>
rief ihr zu, Sie ſollte herüberkommen. Aber ſie<lb/>
antwortete mir nicht, ſondern ſtand ſtill und unbe¬<lb/>
weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes,<lb/>
weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf<lb/>
Friedrich zu mir. Es war mir, als ſähe ich ihn<lb/>
zum erſtenmale, und doch war er mir wie längſt<lb/>
bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie ſonſt<lb/>— ich habe ihn niemals ſo gut und freundlich geſe¬<lb/>
hen. Ein ſchöner Vogel ſaß mitten im Garten auf<lb/>
einer hohen Blume und ſang, daß es mir durch die<lb/>
Seele gieng, meinen Bruder ſah ich unten über das<lb/>
glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie<lb/>
vor ſich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die<lb/>
Luft hielt, die Sonne ſchien prächtig. Reiſen wir<lb/>
nach Italien! ſagte da Friedrich zu mir. — Ich<lb/>
folgte ihm gleich und wir giengen ſehr ſchnell durch<lb/>
viele ſchöne Gegenden immer nebeneinander fort.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[306/0312]
da ich als Kind in dem Garten geſpielt. Ich ver¬
wunderte mich ſehr darüber, und mußte auch wie¬
der lachen, wenn ich mich ſo anſah, und fürchtete
mich vor den ſeltſamen Baumfiguren. Dabey war
es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und,
daß ich ſchon einmal groß geweſen, nur ein Traum.
Ich ſang immerfort ein altes Lied, das ich damals
als Kind alle Tage geſungen, und ſeitdem wieder
vergeſſen habe. Es iſt doch ſeltſam, wie ich es in
der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut
ſchon viel nachgeſonnen, aber es fällt mir nicht
wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie
ſtand ſeitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich
rief ihr zu, Sie ſollte herüberkommen. Aber ſie
antwortete mir nicht, ſondern ſtand ſtill und unbe¬
weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes,
weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf
Friedrich zu mir. Es war mir, als ſähe ich ihn
zum erſtenmale, und doch war er mir wie längſt
bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie ſonſt
— ich habe ihn niemals ſo gut und freundlich geſe¬
hen. Ein ſchöner Vogel ſaß mitten im Garten auf
einer hohen Blume und ſang, daß es mir durch die
Seele gieng, meinen Bruder ſah ich unten über das
glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie
vor ſich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die
Luft hielt, die Sonne ſchien prächtig. Reiſen wir
nach Italien! ſagte da Friedrich zu mir. — Ich
folgte ihm gleich und wir giengen ſehr ſchnell durch
viele ſchöne Gegenden immer nebeneinander fort.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/312>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.