kühlelockend und Sinnenverwirrend, wie Töne alter Lieder aus der Ferne verführend herüberspielen. Rosa bemerkte endlich mit Schrecken, daß es indeß schon finster geworden war, und drang ängstlich in den Prinzen, sie zu der Gesellschaft zurückzuführen. Der Prinz sprang sogleich seitwärts in den Wald und brachte zu ihrem Erstaunen zwey gesattelte Pferde mit hervor. Er hob sie schnell auf das eine hinauf, und sie ritten nun, so geschwind als es die Dunkelheit zuließ, durch den Wald fort.
Sie waren schon weit auf verschiedenen sich durchkreuzenden Wegen fortgetrabt, aber die Wiese mit dem Zelte wollte noch immer nicht erscheinen. Die Waldhornsklänge, die sie vorher gehört hat¬ ten, waren schon lange verstummt, der Mond trat schon zwischen den Wolken hervor. Rosa wurde im¬ mer ängstlicher, aber der Prinz wußte sie jedesmal wieder zu beruhigen.
Endlich hörten sie die Hörner von neuem aus der Ferne vor sich. Sie verdoppelten ihre Eile, die Klänge kamen immer näher. Doch wie groß war Rosa's Schreck, als sie auf einmal aus dem Walde herauskam, und ein ganz fremdes, unbe¬ kanntes Schloß vor sich auf dem Berge liegen sah. Entrüstet wollte sie umkehren und machte dem Prin¬ zen weinend die bittersten Vorwürfe. Nun legte der Prinz die Maske ab. Er entschuldigte seine Kühnheit mit der unwiderstehlichen Gewalt seiner lange heimlich genährten Sehnsucht, umschlang und
kühlelockend und Sinnenverwirrend, wie Töne alter Lieder aus der Ferne verführend herüberſpielen. Roſa bemerkte endlich mit Schrecken, daß es indeß ſchon finſter geworden war, und drang ängſtlich in den Prinzen, ſie zu der Geſellſchaft zurückzuführen. Der Prinz ſprang ſogleich ſeitwärts in den Wald und brachte zu ihrem Erſtaunen zwey geſattelte Pferde mit hervor. Er hob ſie ſchnell auf das eine hinauf, und ſie ritten nun, ſo geſchwind als es die Dunkelheit zuließ, durch den Wald fort.
Sie waren ſchon weit auf verſchiedenen ſich durchkreuzenden Wegen fortgetrabt, aber die Wieſe mit dem Zelte wollte noch immer nicht erſcheinen. Die Waldhornsklänge, die ſie vorher gehört hat¬ ten, waren ſchon lange verſtummt, der Mond trat ſchon zwiſchen den Wolken hervor. Roſa wurde im¬ mer ängſtlicher, aber der Prinz wußte ſie jedesmal wieder zu beruhigen.
Endlich hörten ſie die Hörner von neuem aus der Ferne vor ſich. Sie verdoppelten ihre Eile, die Klänge kamen immer näher. Doch wie groß war Roſa's Schreck, als ſie auf einmal aus dem Walde herauskam, und ein ganz fremdes, unbe¬ kanntes Schloß vor ſich auf dem Berge liegen ſah. Entrüſtet wollte ſie umkehren und machte dem Prin¬ zen weinend die bitterſten Vorwürfe. Nun legte der Prinz die Maſke ab. Er entſchuldigte ſeine Kühnheit mit der unwiderſtehlichen Gewalt ſeiner lange heimlich genährten Sehnſucht, umſchlang und
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kühlelockend und Sinnenverwirrend, wie Töne alter
Lieder aus der Ferne verführend herüberſpielen.
Roſa bemerkte endlich mit Schrecken, daß es indeß
ſchon finſter geworden war, und drang ängſtlich in
den Prinzen, ſie zu der Geſellſchaft zurückzuführen.
Der Prinz ſprang ſogleich ſeitwärts in den Wald
und brachte zu ihrem Erſtaunen zwey geſattelte
Pferde mit hervor. Er hob ſie ſchnell auf das eine
hinauf, und ſie ritten nun, ſo geſchwind als es
die Dunkelheit zuließ, durch den Wald fort.
Sie waren ſchon weit auf verſchiedenen ſich
durchkreuzenden Wegen fortgetrabt, aber die Wieſe
mit dem Zelte wollte noch immer nicht erſcheinen.
Die Waldhornsklänge, die ſie vorher gehört hat¬
ten, waren ſchon lange verſtummt, der Mond trat
ſchon zwiſchen den Wolken hervor. Roſa wurde im¬
mer ängſtlicher, aber der Prinz wußte ſie jedesmal
wieder zu beruhigen.
Endlich hörten ſie die Hörner von neuem aus
der Ferne vor ſich. Sie verdoppelten ihre Eile,
die Klänge kamen immer näher. Doch wie groß
war Roſa's Schreck, als ſie auf einmal aus dem
Walde herauskam, und ein ganz fremdes, unbe¬
kanntes Schloß vor ſich auf dem Berge liegen ſah.
Entrüſtet wollte ſie umkehren und machte dem Prin¬
zen weinend die bitterſten Vorwürfe. Nun legte
der Prinz die Maſke ab. Er entſchuldigte ſeine
Kühnheit mit der unwiderſtehlichen Gewalt ſeiner
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/328>, abgerufen am 23.11.2024.
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