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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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schwarzen Wäldern. Er gedachte seines vergange¬
nen ruhigen Lebens, wie er noch mit seiner Poesie
zufrieden und glücklich war, an seinen Leontin, an
Rosa, an den stillen Garten beym Herrn v. A.,
wie das alles so weit von hier hinter den Bergen
jetzt in ruhigem Schlafe ruhte.

Das Feuer aus dem Hofe warf indeß einen
hellen Widerschein über die eine Wand der Stube.
Da wurde er auf ein großes, altes Bild auf¬
merksam, daß dort hieng. Es stellte die heilige
Mutter Anna vor, wie sie die kleine Maria lesen
lehrte. Sie hatte ein großes Buch vor sich auf dem
Schooße. An ihren Knieen stand die kleine Maria
mit vor der Brust gefalteten Händchen, die Augen
fleissig auf das Buch niedergeschlagen. Eine wun¬
derbare Unschuld und Frömmigkeit, wie die de¬
müthige Ahnung einer künftigen unbeschreiblichen
Schönheit und Herrlichkeit, ruhte auf dem Gesichte
des Kindes. Es war, als müßte sie jeden Augen¬
blick die schönen, klaren Kindesaugen aufschlagen,
um der Welt Trost und himmlischen Frieden zu ge¬
ben. Friedrich war erstaunt; denn je länger er
das stille Köpfchen ansah, je deutlicher schienen al¬
le Züge desselben in ein ihm wohlbekanntes Gesicht
zu verschwimmen. Doch verlohr sich diese Erinne¬
rung in seine früheste Kindheit und er konnte sich
durchaus nicht genau besinnen. Er sprang auf und
untersuchte das Bild von allen Seiten, aber nir¬
gends war irgend ein Nahme oder besonderes Zei¬
chen zu sehen.

ſchwarzen Wäldern. Er gedachte ſeines vergange¬
nen ruhigen Lebens, wie er noch mit ſeiner Poeſie
zufrieden und glücklich war, an ſeinen Leontin, an
Roſa, an den ſtillen Garten beym Herrn v. A.,
wie das alles ſo weit von hier hinter den Bergen
jetzt in ruhigem Schlafe ruhte.

Das Feuer aus dem Hofe warf indeß einen
hellen Widerſchein über die eine Wand der Stube.
Da wurde er auf ein großes, altes Bild auf¬
merkſam, daß dort hieng. Es ſtellte die heilige
Mutter Anna vor, wie ſie die kleine Maria leſen
lehrte. Sie hatte ein großes Buch vor ſich auf dem
Schooße. An ihren Knieen ſtand die kleine Maria
mit vor der Bruſt gefalteten Händchen, die Augen
fleiſſig auf das Buch niedergeſchlagen. Eine wun¬
derbare Unſchuld und Frömmigkeit, wie die de¬
müthige Ahnung einer künftigen unbeſchreiblichen
Schönheit und Herrlichkeit, ruhte auf dem Geſichte
des Kindes. Es war, als müßte ſie jeden Augen¬
blick die ſchönen, klaren Kindesaugen aufſchlagen,
um der Welt Troſt und himmliſchen Frieden zu ge¬
ben. Friedrich war erſtaunt; denn je länger er
das ſtille Köpfchen anſah, je deutlicher ſchienen al¬
le Züge deſſelben in ein ihm wohlbekanntes Geſicht
zu verſchwimmen. Doch verlohr ſich dieſe Erinne¬
rung in ſeine früheſte Kindheit und er konnte ſich
durchaus nicht genau beſinnen. Er ſprang auf und
unterſuchte das Bild von allen Seiten, aber nir¬
gends war irgend ein Nahme oder beſonderes Zei¬
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[340/0346] ſchwarzen Wäldern. Er gedachte ſeines vergange¬ nen ruhigen Lebens, wie er noch mit ſeiner Poeſie zufrieden und glücklich war, an ſeinen Leontin, an Roſa, an den ſtillen Garten beym Herrn v. A., wie das alles ſo weit von hier hinter den Bergen jetzt in ruhigem Schlafe ruhte. Das Feuer aus dem Hofe warf indeß einen hellen Widerſchein über die eine Wand der Stube. Da wurde er auf ein großes, altes Bild auf¬ merkſam, daß dort hieng. Es ſtellte die heilige Mutter Anna vor, wie ſie die kleine Maria leſen lehrte. Sie hatte ein großes Buch vor ſich auf dem Schooße. An ihren Knieen ſtand die kleine Maria mit vor der Bruſt gefalteten Händchen, die Augen fleiſſig auf das Buch niedergeſchlagen. Eine wun¬ derbare Unſchuld und Frömmigkeit, wie die de¬ müthige Ahnung einer künftigen unbeſchreiblichen Schönheit und Herrlichkeit, ruhte auf dem Geſichte des Kindes. Es war, als müßte ſie jeden Augen¬ blick die ſchönen, klaren Kindesaugen aufſchlagen, um der Welt Troſt und himmliſchen Frieden zu ge¬ ben. Friedrich war erſtaunt; denn je länger er das ſtille Köpfchen anſah, je deutlicher ſchienen al¬ le Züge deſſelben in ein ihm wohlbekanntes Geſicht zu verſchwimmen. Doch verlohr ſich dieſe Erinne¬ rung in ſeine früheſte Kindheit und er konnte ſich durchaus nicht genau beſinnen. Er ſprang auf und unterſuchte das Bild von allen Seiten, aber nir¬ gends war irgend ein Nahme oder beſonderes Zei¬ chen zu ſehen.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/346>, abgerufen am 23.11.2024.