Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

unentschlossen an. -- Lassen wir das jetzt! sagte
dieser, die Gegend und meine Seele ist so klar und
heiter wie nach einem Gewitter, es ist mir grade
alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen,
wie wir hier zusammengekommen.

Er nahm hieben eine Flasche Wein aus einem
Körbchen, das neben Julien stand, und setzte sich
damit an den Abhang mit der Aussicht in die grü¬
ne Waldschluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬
lie setzten sich zu beyden Seiten neben ihn. Sie
wollte ihm durchaus die Flasche wieder entreissen, da
sie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als
seinen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt
sie fest in beyden Händen. Wo es, sagte er, wie¬
der so gut frisch Leben giebt, wer fragt da, wie
lange es dauert! Und Julie mußte sich am Ende
selber bequemen mitzutrinken. Sie hatte sich mit
beyden Armen auf seine Kniee gestützt, um die Ge¬
schichte, die sie beynah schon auswendig wußte, noch
einmal recht aufmerksam anzuhören. Friedrich, der
sie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey,
wie sich ihre ganze Gestalt seitdem entwickelt hatte.
Alle ihre Züge waren entschiedener und Geistreich.
So begann nun Leontin folgendermaßen:

Als ich auf jener Alpe während der Gemsen¬
jagd von Dir Abschied nahm, wurde mir sehr ban¬
ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in
der Welt eigentlich wollte und anfangen sollte.
Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und
meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder

unentſchloſſen an. — Laſſen wir das jetzt! ſagte
dieſer, die Gegend und meine Seele iſt ſo klar und
heiter wie nach einem Gewitter, es iſt mir grade
alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen,
wie wir hier zuſammengekommen.

Er nahm hieben eine Flaſche Wein aus einem
Körbchen, das neben Julien ſtand, und ſetzte ſich
damit an den Abhang mit der Ausſicht in die grü¬
ne Waldſchluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬
lie ſetzten ſich zu beyden Seiten neben ihn. Sie
wollte ihm durchaus die Flaſche wieder entreiſſen, da
ſie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als
ſeinen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt
ſie feſt in beyden Händen. Wo es, ſagte er, wie¬
der ſo gut friſch Leben giebt, wer fragt da, wie
lange es dauert! Und Julie mußte ſich am Ende
ſelber bequemen mitzutrinken. Sie hatte ſich mit
beyden Armen auf ſeine Kniee geſtützt, um die Ge¬
ſchichte, die ſie beynah ſchon auswendig wußte, noch
einmal recht aufmerkſam anzuhören. Friedrich, der
ſie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey,
wie ſich ihre ganze Geſtalt ſeitdem entwickelt hatte.
Alle ihre Züge waren entſchiedener und Geiſtreich.
So begann nun Leontin folgendermaßen:

Als ich auf jener Alpe während der Gemſen¬
jagd von Dir Abſchied nahm, wurde mir ſehr ban¬
ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in
der Welt eigentlich wollte und anfangen ſollte.
Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und
meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0366" n="360"/>
unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en an. &#x2014; La&#x017F;&#x017F;en wir das jetzt! &#x017F;agte<lb/>
die&#x017F;er, die Gegend und meine Seele i&#x017F;t &#x017F;o klar und<lb/>
heiter wie nach einem Gewitter, es i&#x017F;t mir grade<lb/>
alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen,<lb/>
wie wir hier zu&#x017F;ammengekommen.</p><lb/>
          <p>Er nahm hieben eine Fla&#x017F;che Wein aus einem<lb/>
Körbchen, das neben Julien &#x017F;tand, und &#x017F;etzte &#x017F;ich<lb/>
damit an den Abhang mit der Aus&#x017F;icht in die grü¬<lb/>
ne Wald&#x017F;chluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬<lb/>
lie &#x017F;etzten &#x017F;ich zu beyden Seiten neben ihn. Sie<lb/>
wollte ihm durchaus die Fla&#x017F;che wieder entrei&#x017F;&#x017F;en, da<lb/>
&#x017F;ie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als<lb/>
&#x017F;einen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt<lb/>
&#x017F;ie fe&#x017F;t in beyden Händen. Wo es, &#x017F;agte er, wie¬<lb/>
der &#x017F;o gut fri&#x017F;ch Leben giebt, wer fragt da, wie<lb/>
lange es dauert! Und Julie mußte &#x017F;ich am Ende<lb/>
&#x017F;elber bequemen mitzutrinken. Sie hatte &#x017F;ich mit<lb/>
beyden Armen auf &#x017F;eine Kniee ge&#x017F;tützt, um die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte, die &#x017F;ie beynah &#x017F;chon auswendig wußte, noch<lb/>
einmal recht aufmerk&#x017F;am anzuhören. Friedrich, der<lb/>
&#x017F;ie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey,<lb/>
wie &#x017F;ich ihre ganze Ge&#x017F;talt &#x017F;eitdem entwickelt hatte.<lb/>
Alle ihre Züge waren ent&#x017F;chiedener und Gei&#x017F;treich.<lb/>
So begann nun Leontin folgendermaßen:</p><lb/>
          <p>Als ich auf jener Alpe während der Gem&#x017F;en¬<lb/>
jagd von Dir Ab&#x017F;chied nahm, wurde mir &#x017F;ehr ban¬<lb/>
ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in<lb/>
der Welt eigentlich wollte und anfangen &#x017F;ollte.<lb/>
Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und<lb/>
meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0366] unentſchloſſen an. — Laſſen wir das jetzt! ſagte dieſer, die Gegend und meine Seele iſt ſo klar und heiter wie nach einem Gewitter, es iſt mir grade alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen, wie wir hier zuſammengekommen. Er nahm hieben eine Flaſche Wein aus einem Körbchen, das neben Julien ſtand, und ſetzte ſich damit an den Abhang mit der Ausſicht in die grü¬ ne Waldſchluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬ lie ſetzten ſich zu beyden Seiten neben ihn. Sie wollte ihm durchaus die Flaſche wieder entreiſſen, da ſie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als ſeinen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt ſie feſt in beyden Händen. Wo es, ſagte er, wie¬ der ſo gut friſch Leben giebt, wer fragt da, wie lange es dauert! Und Julie mußte ſich am Ende ſelber bequemen mitzutrinken. Sie hatte ſich mit beyden Armen auf ſeine Kniee geſtützt, um die Ge¬ ſchichte, die ſie beynah ſchon auswendig wußte, noch einmal recht aufmerkſam anzuhören. Friedrich, der ſie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey, wie ſich ihre ganze Geſtalt ſeitdem entwickelt hatte. Alle ihre Züge waren entſchiedener und Geiſtreich. So begann nun Leontin folgendermaßen: Als ich auf jener Alpe während der Gemſen¬ jagd von Dir Abſchied nahm, wurde mir ſehr ban¬ ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in der Welt eigentlich wollte und anfangen ſollte. Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/366
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/366>, abgerufen am 23.11.2024.