drich: "Es war ein tiefes, weites, rosenrothes Meer, Dich sah ich darin auf dem Grunde immer¬ fort über hohe Gebirge gehen, ich sang die besten alten Lieder, die ich wußte, aber Du erinnertest Dich nicht mehr daran, und ich konnte Dich niemals erjagen, und unten stand der Alte tief im Mee¬ re, ich fürchtete mich vor seinen Augen. Manchmal ruhtest Du, auf mich zugewendet, aus, da saß ich still Dir gegenüber und sah Dich viel hundert Jah¬ re an -- ach, ich war Dir so gut, so gut! -- Die Leute sagten, ich sey verrückt, ich hörte es wohl und hörte auch draussen die Uhren schlagen und die Welt ordentlich gehen und schallen wie durch Glas, aber ich konnte nicht mit hinein. Da¬ mals war mir wohl, jetzt bin ich wieder krank. -- Glaube nur nicht, daß ich jetzt irre spreche, jetzt weiß ich wohl recht gut, was ich rede und wo ich bin -- daß ist ja der Eichgrund, das ist die alte Mühle -- bey diesen Worten versank er in ein star¬ res Nachsinnen. Dann fuhr er unter immerwähren¬ den Krämpfen wieder fort: Dort, wo die Sonne aufgeh'n wird, ist ein großer Wald, in dem Walde wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer lan¬ gen Schramme über dem rechten Auge, der kennt mich und Euch alle, er --" hier nahmen die Zu¬ ckungen in immer engeren Kreisen auf einmal sehr heftig zu. Der Knabe nahm Friedrichs Hand, drück¬ te sie fest an seine Lippen und sagte: mein lieber Herr! Ein plötzlicher Krampf streckte noch einmal seinen ganzen Leib und er hörte auf zu athmen.
drich: „Es war ein tiefes, weites, roſenrothes Meer, Dich ſah ich darin auf dem Grunde immer¬ fort über hohe Gebirge gehen, ich ſang die beſten alten Lieder, die ich wußte, aber Du erinnerteſt Dich nicht mehr daran, und ich konnte Dich niemals erjagen, und unten ſtand der Alte tief im Mee¬ re, ich fürchtete mich vor ſeinen Augen. Manchmal ruhteſt Du, auf mich zugewendet, aus, da ſaß ich ſtill Dir gegenüber und ſah Dich viel hundert Jah¬ re an — ach, ich war Dir ſo gut, ſo gut! — Die Leute ſagten, ich ſey verrückt, ich hörte es wohl und hörte auch drauſſen die Uhren ſchlagen und die Welt ordentlich gehen und ſchallen wie durch Glas, aber ich konnte nicht mit hinein. Da¬ mals war mir wohl, jetzt bin ich wieder krank. — Glaube nur nicht, daß ich jetzt irre ſpreche, jetzt weiß ich wohl recht gut, was ich rede und wo ich bin — daß iſt ja der Eichgrund, das iſt die alte Mühle — bey dieſen Worten verſank er in ein ſtar¬ res Nachſinnen. Dann fuhr er unter immerwähren¬ den Krämpfen wieder fort: Dort, wo die Sonne aufgeh'n wird, iſt ein großer Wald, in dem Walde wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer lan¬ gen Schramme über dem rechten Auge, der kennt mich und Euch alle, er —‟ hier nahmen die Zu¬ ckungen in immer engeren Kreiſen auf einmal ſehr heftig zu. Der Knabe nahm Friedrichs Hand, drück¬ te ſie feſt an ſeine Lippen und ſagte: mein lieber Herr! Ein plötzlicher Krampf ſtreckte noch einmal ſeinen ganzen Leib und er hörte auf zu athmen.
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drich: „Es war ein tiefes, weites, roſenrothes
Meer, Dich ſah ich darin auf dem Grunde immer¬
fort über hohe Gebirge gehen, ich ſang die beſten
alten Lieder, die ich wußte, aber Du erinnerteſt
Dich nicht mehr daran, und ich konnte Dich niemals
erjagen, und unten ſtand der Alte tief im Mee¬
re, ich fürchtete mich vor ſeinen Augen. Manchmal
ruhteſt Du, auf mich zugewendet, aus, da ſaß ich
ſtill Dir gegenüber und ſah Dich viel hundert Jah¬
re an — ach, ich war Dir ſo gut, ſo gut! —
Die Leute ſagten, ich ſey verrückt, ich hörte es
wohl und hörte auch drauſſen die Uhren ſchlagen
und die Welt ordentlich gehen und ſchallen wie
durch Glas, aber ich konnte nicht mit hinein. Da¬
mals war mir wohl, jetzt bin ich wieder krank. —
Glaube nur nicht, daß ich jetzt irre ſpreche, jetzt
weiß ich wohl recht gut, was ich rede und wo ich
bin — daß iſt ja der Eichgrund, das iſt die alte
Mühle — bey dieſen Worten verſank er in ein ſtar¬
res Nachſinnen. Dann fuhr er unter immerwähren¬
den Krämpfen wieder fort: Dort, wo die Sonne
aufgeh'n wird, iſt ein großer Wald, in dem Walde
wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer lan¬
gen Schramme über dem rechten Auge, der kennt
mich und Euch alle, er —‟ hier nahmen die Zu¬
ckungen in immer engeren Kreiſen auf einmal ſehr
heftig zu. Der Knabe nahm Friedrichs Hand, drück¬
te ſie feſt an ſeine Lippen und ſagte: mein lieber
Herr! Ein plötzlicher Krampf ſtreckte noch einmal
ſeinen ganzen Leib und er hörte auf zu athmen.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/384>, abgerufen am 23.11.2024.
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