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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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ster, kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten
in den tiefen dunkelgrünen Schluften hin und her
zerstreut, es war eine gränzenlose Einsamkeit, ne¬
benaus oft Streifen von unermeßlicher Aussicht.
Ihre Herzen wurden wieder stark und weit und voll
kühler Freudenquellen.

Da erblickten sie sehr unerwartet mitten in der
Wildniß einen niedrigen, zierlichen Zaun von wei¬
ßem Birkenholz, dem es ordentlich Mühe zu kosten
schien, die wilde Freyheit der Natur, die überall
ihre grünen, festen Arme, wie zum Spotte, unge¬
zogen durchstreckte, im Zaum zu halten. Sie lach¬
ten einander beyde bey dem ersten Anblicke an,
denn überraschender konnte ihnen nichts kommen,
als gar eine moderne englische Anlage in dieser
menschenleeren Gegend. Sie ritten längs des Zau¬
nes hin, aber nirgends war die geringste Spur ei¬
nes Einganges. Sie wußten wohl, daß sie bereits
in dem großen Walde seyn mußten, den Erwine
sterbend meynte, auch waren sie nach der langen
Tagereise begierig, endlich einmal Menschen, Speiß
und Trank wiederzufinden, sie banden daher ihre
Pferde an und sprengten über den Zaun hinein.

Ein niedlicher Schlangenpfad, mit weißem
Sande ausgestreut, führte sie dort bis an ein gro¬
ßes, dichtes Gebüsch von meist ausländischen Sträu¬
chern, wo er sich plötzlich in zwey Arme theilte.
Sie schlugen nun jeder für sich allein einen dersel¬
ben ein, um so desto eher zu einer erwünschten
Entdeckung zu gelangen. Doch diese schmalen Pfa¬

ſter, kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten
in den tiefen dunkelgrünen Schluften hin und her
zerſtreut, es war eine gränzenloſe Einſamkeit, ne¬
benaus oft Streifen von unermeßlicher Ausſicht.
Ihre Herzen wurden wieder ſtark und weit und voll
kühler Freudenquellen.

Da erblickten ſie ſehr unerwartet mitten in der
Wildniß einen niedrigen, zierlichen Zaun von wei¬
ßem Birkenholz, dem es ordentlich Mühe zu koſten
ſchien, die wilde Freyheit der Natur, die überall
ihre grünen, feſten Arme, wie zum Spotte, unge¬
zogen durchſtreckte, im Zaum zu halten. Sie lach¬
ten einander beyde bey dem erſten Anblicke an,
denn überraſchender konnte ihnen nichts kommen,
als gar eine moderne engliſche Anlage in dieſer
menſchenleeren Gegend. Sie ritten längs des Zau¬
nes hin, aber nirgends war die geringſte Spur ei¬
nes Einganges. Sie wußten wohl, daß ſie bereits
in dem großen Walde ſeyn mußten, den Erwine
ſterbend meynte, auch waren ſie nach der langen
Tagereiſe begierig, endlich einmal Menſchen, Speiß
und Trank wiederzufinden, ſie banden daher ihre
Pferde an und ſprengten über den Zaun hinein.

Ein niedlicher Schlangenpfad, mit weißem
Sande ausgeſtreut, führte ſie dort bis an ein gro¬
ßes, dichtes Gebüſch von meiſt ausländiſchen Sträu¬
chern, wo er ſich plötzlich in zwey Arme theilte.
Sie ſchlugen nun jeder für ſich allein einen derſel¬
ben ein, um ſo deſto eher zu einer erwünſchten
Entdeckung zu gelangen. Doch dieſe ſchmalen Pfa¬

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[388/0394] ſter, kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten in den tiefen dunkelgrünen Schluften hin und her zerſtreut, es war eine gränzenloſe Einſamkeit, ne¬ benaus oft Streifen von unermeßlicher Ausſicht. Ihre Herzen wurden wieder ſtark und weit und voll kühler Freudenquellen. Da erblickten ſie ſehr unerwartet mitten in der Wildniß einen niedrigen, zierlichen Zaun von wei¬ ßem Birkenholz, dem es ordentlich Mühe zu koſten ſchien, die wilde Freyheit der Natur, die überall ihre grünen, feſten Arme, wie zum Spotte, unge¬ zogen durchſtreckte, im Zaum zu halten. Sie lach¬ ten einander beyde bey dem erſten Anblicke an, denn überraſchender konnte ihnen nichts kommen, als gar eine moderne engliſche Anlage in dieſer menſchenleeren Gegend. Sie ritten längs des Zau¬ nes hin, aber nirgends war die geringſte Spur ei¬ nes Einganges. Sie wußten wohl, daß ſie bereits in dem großen Walde ſeyn mußten, den Erwine ſterbend meynte, auch waren ſie nach der langen Tagereiſe begierig, endlich einmal Menſchen, Speiß und Trank wiederzufinden, ſie banden daher ihre Pferde an und ſprengten über den Zaun hinein. Ein niedlicher Schlangenpfad, mit weißem Sande ausgeſtreut, führte ſie dort bis an ein gro¬ ßes, dichtes Gebüſch von meiſt ausländiſchen Sträu¬ chern, wo er ſich plötzlich in zwey Arme theilte. Sie ſchlugen nun jeder für ſich allein einen derſel¬ ben ein, um ſo deſto eher zu einer erwünſchten Entdeckung zu gelangen. Doch dieſe ſchmalen Pfa¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/394>, abgerufen am 23.11.2024.