Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

weibliche Figur vor, die todt über den Steinen
lag. Ihre Arme waren mit künstlichen Spangen,
ihr Haupt mit Pfauenfedern geschmückt. Eine gro¬
ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe,
hatte sich ihr dreymal um den Leib geschlungen.
Neben und zum Theil über dem schönen Leichnam
lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬
zweygesprungen und ein zerbrochenes Wappen.
Aus dieser Gruppe erhob sich ein hohes, einfaches
Kreutz, mit seinem Fuße die Schlange erdrückend.

Friedrich traute seinen Augen kaum, da er bey
genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬
de sein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine
Augen fielen dabey noch einmal aufmerksamer auf
die weibliche Gestalt, deren Gesicht so eben von
einem glühenden Abendstrahle hell beleuchtet wurde.
Er erschrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬
se Mienen so wunderbar anzogen. Endlich nahm
er das kleine Portrait hervor, das sie auf Erwi¬
nens Brust gefunden hatten. Es waren dieselben
Züge, es war das schöne Kind, mit dem er da¬
mals in dem Blumengarten seiner Heimath gespielt;
nur das Leben schien seitdem viele Züge verwischt
und seltsam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger
Strom von Erinnerung zog da durch seine Seele,
dem er kaum mehr in jenes frühste, helldunkle
Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte
schaudernd seinen eignen Lebenslauf in den geheim¬
nißvollen Kreis dieser Berge mit hineingezogen.

weibliche Figur vor, die todt über den Steinen
lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen,
ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬
ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe,
hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen.
Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam
lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬
zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen.
Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches
Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend.

Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey
genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬
de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine
Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf
die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von
einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde.
Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬
ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm
er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬
nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben
Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬
mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt;
nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht
und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger
Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele,
dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle
Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte
ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬
nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0400" n="394"/>
weibliche Figur vor, die todt über den Steinen<lb/>
lag. Ihre Arme waren mit kün&#x017F;tlichen Spangen,<lb/>
ihr Haupt mit Pfauenfedern ge&#x017F;chmückt. Eine gro¬<lb/>
ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe,<lb/>
hatte &#x017F;ich ihr dreymal um den Leib ge&#x017F;chlungen.<lb/>
Neben und zum Theil über dem &#x017F;chönen Leichnam<lb/>
lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬<lb/>
zweyge&#x017F;prungen und ein zerbrochenes Wappen.<lb/>
Aus die&#x017F;er Gruppe erhob &#x017F;ich ein hohes, einfaches<lb/>
Kreutz, mit &#x017F;einem Fuße die Schlange erdrückend.</p><lb/>
          <p>Friedrich traute &#x017F;einen Augen kaum, da er bey<lb/>
genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬<lb/>
de &#x017F;ein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine<lb/>
Augen fielen dabey noch einmal aufmerk&#x017F;amer auf<lb/>
die weibliche Ge&#x017F;talt, deren Ge&#x017F;icht &#x017F;o eben von<lb/>
einem glühenden Abend&#x017F;trahle hell beleuchtet wurde.<lb/>
Er er&#x017F;chrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬<lb/>
&#x017F;e Mienen &#x017F;o wunderbar anzogen. Endlich nahm<lb/>
er das kleine Portrait hervor, das &#x017F;ie auf Erwi¬<lb/>
nens Bru&#x017F;t gefunden hatten. Es waren die&#x017F;elben<lb/>
Züge, es war das &#x017F;chöne Kind, mit dem er da¬<lb/>
mals in dem Blumengarten &#x017F;einer Heimath ge&#x017F;pielt;<lb/>
nur das Leben &#x017F;chien &#x017F;eitdem viele Züge verwi&#x017F;cht<lb/>
und &#x017F;elt&#x017F;am entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger<lb/>
Strom von Erinnerung zog da durch &#x017F;eine Seele,<lb/>
dem er kaum mehr in jenes früh&#x017F;te, helldunkle<lb/>
Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte<lb/>
&#x017F;chaudernd &#x017F;einen eignen Lebenslauf in den geheim¬<lb/>
nißvollen Kreis die&#x017F;er Berge mit hineingezogen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0400] weibliche Figur vor, die todt über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬ ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen. Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬ zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend. Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬ de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde. Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬ ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬ nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬ mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt; nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬ nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/400
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/400>, abgerufen am 23.11.2024.