weibliche Figur vor, die todt über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künstlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geschmückt. Eine gro¬ ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte sich ihr dreymal um den Leib geschlungen. Neben und zum Theil über dem schönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬ zweygesprungen und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieser Gruppe erhob sich ein hohes, einfaches Kreutz, mit seinem Fuße die Schlange erdrückend.
Friedrich traute seinen Augen kaum, da er bey genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬ de sein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine Augen fielen dabey noch einmal aufmerksamer auf die weibliche Gestalt, deren Gesicht so eben von einem glühenden Abendstrahle hell beleuchtet wurde. Er erschrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬ se Mienen so wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Portrait hervor, das sie auf Erwi¬ nens Brust gefunden hatten. Es waren dieselben Züge, es war das schöne Kind, mit dem er da¬ mals in dem Blumengarten seiner Heimath gespielt; nur das Leben schien seitdem viele Züge verwischt und seltsam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger Strom von Erinnerung zog da durch seine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühste, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte schaudernd seinen eignen Lebenslauf in den geheim¬ nißvollen Kreis dieser Berge mit hineingezogen.
weibliche Figur vor, die todt über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬ ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen. Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬ zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend.
Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬ de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde. Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬ ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬ nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬ mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt; nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬ nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0400"n="394"/>
weibliche Figur vor, die todt über den Steinen<lb/>
lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen,<lb/>
ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬<lb/>
ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe,<lb/>
hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen.<lb/>
Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam<lb/>
lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬<lb/>
zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen.<lb/>
Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches<lb/>
Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend.</p><lb/><p>Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey<lb/>
genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬<lb/>
de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine<lb/>
Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf<lb/>
die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von<lb/>
einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde.<lb/>
Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬<lb/>ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm<lb/>
er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬<lb/>
nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben<lb/>
Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬<lb/>
mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt;<lb/>
nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht<lb/>
und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger<lb/>
Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele,<lb/>
dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle<lb/>
Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte<lb/>ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬<lb/>
nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[394/0400]
weibliche Figur vor, die todt über den Steinen
lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen,
ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬
ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe,
hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen.
Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam
lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬
zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen.
Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches
Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend.
Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey
genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬
de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine
Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf
die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von
einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde.
Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬
ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm
er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬
nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben
Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬
mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt;
nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht
und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger
Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele,
dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle
Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte
ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬
nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/400>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.