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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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te er über der Stirne gescheitelt und in schönen Lo¬
cken über die Schultern herabhängend.

Er setzte das Licht auf den Tisch und fragte
sie, wann sie wieder weiter zu ziehen gedächten?
Ach, fügte er hinzu, ohne erst ihre Antwort abzu¬
warten, ach, könnt' ich mitzieh'n! -- Und wer
hält Euch denn hier? fragte Leontin. -- Es ist
meine eigne Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder,
wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfesten Gesin¬
nung, zu der Andacht und der beständigen Begei¬
sterung, um der Welt wieder einmal Luft zum
Himmel zu hauen. Ich bin geringe und noch kein
Ritter, aber ich hoffe es durch fleissige Tugendübung
mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Hey¬
den hinauszuzieh'n. Denn die Welt wimmelt wie¬
der von Heyden. Die Burgen sind geschleift, die
Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abschied
genommen, und die Erde schämt sich recht in ihrer
fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch
eines einsam auf dem Felde steht; aber die Heyden
handthieren und gehen hochmüthig vorüber und
schämen sich nicht. -- Er sprach dieß mit einer wirk¬
lich rührenden Demuth, doch selbst in der steigen¬
den Begeisterung, in die er sich bey den letzten
Worten hineingesprochen hatte, blieb etwas modern
fades in seinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn
bey der Hand und wußte nicht, was er aus ihm
machen sollte, denn für einen Menschen, der seine
ordentliche Vernunft besitzt, hatte er ihm doch bey¬
nah zu gescheid gesprochen.

te er über der Stirne geſcheitelt und in ſchönen Lo¬
cken über die Schultern herabhängend.

Er ſetzte das Licht auf den Tiſch und fragte
ſie, wann ſie wieder weiter zu ziehen gedächten?
Ach, fügte er hinzu, ohne erſt ihre Antwort abzu¬
warten, ach, könnt' ich mitzieh'n! — Und wer
hält Euch denn hier? fragte Leontin. — Es iſt
meine eigne Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder,
wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfeſten Geſin¬
nung, zu der Andacht und der beſtändigen Begei¬
ſterung, um der Welt wieder einmal Luft zum
Himmel zu hauen. Ich bin geringe und noch kein
Ritter, aber ich hoffe es durch fleiſſige Tugendübung
mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Hey¬
den hinauszuzieh'n. Denn die Welt wimmelt wie¬
der von Heyden. Die Burgen ſind geſchleift, die
Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abſchied
genommen, und die Erde ſchämt ſich recht in ihrer
fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch
eines einſam auf dem Felde ſteht; aber die Heyden
handthieren und gehen hochmüthig vorüber und
ſchämen ſich nicht. — Er ſprach dieß mit einer wirk¬
lich rührenden Demuth, doch ſelbſt in der ſteigen¬
den Begeiſterung, in die er ſich bey den letzten
Worten hineingeſprochen hatte, blieb etwas modern
fades in ſeinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn
bey der Hand und wußte nicht, was er aus ihm
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[398/0404] te er über der Stirne geſcheitelt und in ſchönen Lo¬ cken über die Schultern herabhängend. Er ſetzte das Licht auf den Tiſch und fragte ſie, wann ſie wieder weiter zu ziehen gedächten? Ach, fügte er hinzu, ohne erſt ihre Antwort abzu¬ warten, ach, könnt' ich mitzieh'n! — Und wer hält Euch denn hier? fragte Leontin. — Es iſt meine eigne Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder, wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfeſten Geſin¬ nung, zu der Andacht und der beſtändigen Begei¬ ſterung, um der Welt wieder einmal Luft zum Himmel zu hauen. Ich bin geringe und noch kein Ritter, aber ich hoffe es durch fleiſſige Tugendübung mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Hey¬ den hinauszuzieh'n. Denn die Welt wimmelt wie¬ der von Heyden. Die Burgen ſind geſchleift, die Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abſchied genommen, und die Erde ſchämt ſich recht in ihrer fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch eines einſam auf dem Felde ſteht; aber die Heyden handthieren und gehen hochmüthig vorüber und ſchämen ſich nicht. — Er ſprach dieß mit einer wirk¬ lich rührenden Demuth, doch ſelbſt in der ſteigen¬ den Begeiſterung, in die er ſich bey den letzten Worten hineingeſprochen hatte, blieb etwas modern fades in ſeinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn bey der Hand und wußte nicht, was er aus ihm machen ſollte, denn für einen Menſchen, der ſeine ordentliche Vernunft beſitzt, hatte er ihm doch bey¬ nah zu geſcheid geſprochen.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/404>, abgerufen am 23.11.2024.