vornehm auf dem Sessel hin und herschaukelnd. Bey welchem Schneider lassen Sie arbeiten? sagte er endlich. Dann stand er auf und befühlte ihre Hemden an der Brust. Aber, mein Gott! wie kann man so etwas tragen? sagte er, bon soir, bon soir, mes amis! Hiemit gieng er, laut ein fran¬ zösisches Liedchen trellernd, ab. In der Thüre be¬ gegnete er einem Mädchen, das eben mit einem Korb voll Erfrischungen heraufkam. Er nahm sie sogleich in den Arm und wollte sie küssen. Sie schien aber keinen Spaß zu verstehen und warf den Ritter, wie sie an dem Gepolter wahrnehmen konn¬ ten, ziemlich unsanft die Stiege hinab.
Nun wahrhaftig, sagte Friedrich, hier geht es lustig zu, ich sehe nur, wann wir beyde selber an¬ fangen, mit verrückt zu werden. -- Mir war bey dem Kerl zu Muthe, meynte Leontin, als sollten wir ihn hundemässig durchprügeln.
Das Mädchen hatte unterdeß, ohne ein Wort zu sprechen, mit unglaublicher Geschwindigkeit den Tisch gedeckt und Essen aufgetragen. Ihre Hast fiel ihnen auf, sie betrachteten sie genauer und er¬ schracken beyde, als sie in ihr die verlohrene Marie erkannten. Sie war Leichenblaß, ihr schönes Haar war seltsam aufgeputzt und phantastisch mit bunten Federn und Flitter geschmückt. Der überraschte Leontin nahm sie sanftstreichelnd bey dem weichen, vollen Arme und sah ihr in die sonst so frischen Au¬ gen, die er seit ihrem Abschiede auf der Gebirgs¬
reise
vornehm auf dem Seſſel hin und herſchaukelnd. Bey welchem Schneider laſſen Sie arbeiten? ſagte er endlich. Dann ſtand er auf und befühlte ihre Hemden an der Bruſt. Aber, mein Gott! wie kann man ſo etwas tragen? ſagte er, bon soir, bon soir, mes amis! Hiemit gieng er, laut ein fran¬ zöſiſches Liedchen trellernd, ab. In der Thüre be¬ gegnete er einem Mädchen, das eben mit einem Korb voll Erfriſchungen heraufkam. Er nahm ſie ſogleich in den Arm und wollte ſie küſſen. Sie ſchien aber keinen Spaß zu verſtehen und warf den Ritter, wie ſie an dem Gepolter wahrnehmen konn¬ ten, ziemlich unſanft die Stiege hinab.
Nun wahrhaftig, ſagte Friedrich, hier geht es luſtig zu, ich ſehe nur, wann wir beyde ſelber an¬ fangen, mit verrückt zu werden. — Mir war bey dem Kerl zu Muthe, meynte Leontin, als ſollten wir ihn hundemäſſig durchprügeln.
Das Mädchen hatte unterdeß, ohne ein Wort zu ſprechen, mit unglaublicher Geſchwindigkeit den Tiſch gedeckt und Eſſen aufgetragen. Ihre Haſt fiel ihnen auf, ſie betrachteten ſie genauer und er¬ ſchracken beyde, als ſie in ihr die verlohrene Marie erkannten. Sie war Leichenblaß, ihr ſchönes Haar war ſeltſam aufgeputzt und phantaſtiſch mit bunten Federn und Flitter geſchmückt. Der überraſchte Leontin nahm ſie ſanftſtreichelnd bey dem weichen, vollen Arme und ſah ihr in die ſonſt ſo friſchen Au¬ gen, die er ſeit ihrem Abſchiede auf der Gebirgs¬
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vornehm auf dem Seſſel hin und herſchaukelnd.
Bey welchem Schneider laſſen Sie arbeiten? ſagte
er endlich. Dann ſtand er auf und befühlte ihre
Hemden an der Bruſt. Aber, mein Gott! wie kann
man ſo etwas tragen? ſagte er, bon soir, bon
soir, mes amis! Hiemit gieng er, laut ein fran¬
zöſiſches Liedchen trellernd, ab. In der Thüre be¬
gegnete er einem Mädchen, das eben mit einem
Korb voll Erfriſchungen heraufkam. Er nahm ſie
ſogleich in den Arm und wollte ſie küſſen. Sie
ſchien aber keinen Spaß zu verſtehen und warf den
Ritter, wie ſie an dem Gepolter wahrnehmen konn¬
ten, ziemlich unſanft die Stiege hinab.
Nun wahrhaftig, ſagte Friedrich, hier geht es
luſtig zu, ich ſehe nur, wann wir beyde ſelber an¬
fangen, mit verrückt zu werden. — Mir war bey
dem Kerl zu Muthe, meynte Leontin, als ſollten
wir ihn hundemäſſig durchprügeln.
Das Mädchen hatte unterdeß, ohne ein Wort
zu ſprechen, mit unglaublicher Geſchwindigkeit den
Tiſch gedeckt und Eſſen aufgetragen. Ihre Haſt
fiel ihnen auf, ſie betrachteten ſie genauer und er¬
ſchracken beyde, als ſie in ihr die verlohrene Marie
erkannten. Sie war Leichenblaß, ihr ſchönes Haar
war ſeltſam aufgeputzt und phantaſtiſch mit bunten
Federn und Flitter geſchmückt. Der überraſchte
Leontin nahm ſie ſanftſtreichelnd bey dem weichen,
vollen Arme und ſah ihr in die ſonſt ſo friſchen Au¬
gen, die er ſeit ihrem Abſchiede auf der Gebirgs¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/406>, abgerufen am 23.11.2024.
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