lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬ zen waren immer besser als die Gemählde, weil ihre Ausführung meistens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden ist mir wohl eine solche Glorie von niegesehenen Farben und unbeschreiblich himm¬ lischer Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber dann war's auch wieder aus, und ich konnte sie niemals ausdrücken. -- So schmückt sich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künsten aus, ohne deßwegen zum Künstler berufen zu seyn. Und überhaupt ist es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder würdet ihr den nicht für thöricht halten, der sich im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬ ren wollte? Und wir machen soviel Umstände mit dem Leben und wissen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben!
An einem schönen Sommerabende fuhr ich ein¬ mal in Venedig auf dem Golf spazieren. Der Halbkreis von Pallästen mit ihren stillerleuchteten Fenstern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬ lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Wasser, Guitarren und tausend weiche Ge¬ sänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her still und einsam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimath und sang ein altes deutsches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte. Wie sehr erstaunte ich, als mir da auf ein¬
lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬ zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬ liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. — So ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬ ren wollte? Und wir machen ſoviel Umſtände mit dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben!
An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬ mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬ lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬ ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und einſam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte. Wie ſehr erſtaunte ich, als mir da auf ein¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0429"n="423"/>
lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬<lb/>
zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil<lb/>
ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft<lb/>
in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie<lb/>
von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬<lb/>
liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum<lb/>
zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder<lb/>
aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. — So<lb/>ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren<lb/>
Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum<lb/>
Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am<lb/>
Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder<lb/>
würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich<lb/>
im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬<lb/>
ren wollte? Und <hirendition="#g">wir</hi> machen ſoviel Umſtände mit<lb/>
dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine<lb/>
Stunde bleiben!</p><lb/><p>An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬<lb/>
mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der<lb/>
Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten<lb/>
Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬<lb/>
lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das<lb/>
ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬<lb/>ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll<lb/>
Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach<lb/>
die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und<lb/>
einſam geworden war. Ich dachte an die ferne<lb/>
Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines<lb/>
von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt<lb/>
hatte. Wie ſehr erſtaunte ich, als mir da auf ein¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[423/0429]
lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬
zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil
ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft
in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie
von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬
liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum
zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder
aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. — So
ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren
Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum
Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am
Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder
würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich
im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬
ren wollte? Und wir machen ſoviel Umſtände mit
dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine
Stunde bleiben!
An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬
mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der
Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten
Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬
lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das
ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬
ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll
Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach
die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und
einſam geworden war. Ich dachte an die ferne
Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines
von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt
hatte. Wie ſehr erſtaunte ich, als mir da auf ein¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/429>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.