Weltgegenden in die Luft focht: "Es ist hoch an der Zeit, der Feind ist nicht mehr weit, hüte dich, hüte dich!" Darauf verlohr sie sich augenblicklich unter dem Haufen und ich sah sie nicht mehr wie¬ der. Mir wurde dabey nicht wohl zu Muthe und die abentheuerlichen Worte giengen mir wunderlich im Kopfe herum.
Indeß brachten mich die anderen Gesellen wie¬ der auf andere Gedanken. Denn sie drängten sich immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre verübten Schwänke und Schalksthaten, worunter eine besonders meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein junger Bursch erzählte mir nemlich, wie seine Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reisenden welschen Dame, die mit einem Herrn im Wirthshau¬ se übernachtete, ihr kleines Kind gestohlen habe, weil es so wunderschön aussah. Er beschrieb mir dabey alle Nebenumstände so genau, daß ich fast nicht zweifeln konnte, die reisende welsche Dame sey nie¬ mand anders als Angelina selbst gewesen. -- Ich sprang auf und drang in ihn, mir die Geraubte so¬ gleich zu zeigen. Bestürzt über meinen unerklärli¬ chen Ungestümm, antwortete er mir: das geraubte Fräulein wuchs theils unter uns, theils unter un¬ seren Brüdern in einer Waldmühle auf, wo sie vor einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus ver¬ schwunden ist, ohne daß wir wissen, wohin? --
So war also Erwine deine Tochter! fiel hier Friedrich seinem Bruder erstaunt ins Wort. -- Seit
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Weltgegenden in die Luft focht: „Es iſt hoch an der Zeit, der Feind iſt nicht mehr weit, hüte dich, hüte dich!“ Darauf verlohr ſie ſich augenblicklich unter dem Haufen und ich ſah ſie nicht mehr wie¬ der. Mir wurde dabey nicht wohl zu Muthe und die abentheuerlichen Worte giengen mir wunderlich im Kopfe herum.
Indeß brachten mich die anderen Geſellen wie¬ der auf andere Gedanken. Denn ſie drängten ſich immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre verübten Schwänke und Schalksthaten, worunter eine beſonders meine Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Ein junger Burſch erzählte mir nemlich, wie ſeine Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reiſenden welſchen Dame, die mit einem Herrn im Wirthshau¬ ſe übernachtete, ihr kleines Kind geſtohlen habe, weil es ſo wunderſchön ausſah. Er beſchrieb mir dabey alle Nebenumſtände ſo genau, daß ich faſt nicht zweifeln konnte, die reiſende welſche Dame ſey nie¬ mand anders als Angelina ſelbſt geweſen. — Ich ſprang auf und drang in ihn, mir die Geraubte ſo¬ gleich zu zeigen. Beſtürzt über meinen unerklärli¬ chen Ungeſtümm, antwortete er mir: das geraubte Fräulein wuchs theils unter uns, theils unter un¬ ſeren Brüdern in einer Waldmühle auf, wo ſie vor einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus ver¬ ſchwunden iſt, ohne daß wir wiſſen, wohin? —
So war alſo Erwine deine Tochter! fiel hier Friedrich ſeinem Bruder erſtaunt ins Wort. — Seit
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Weltgegenden in die Luft focht: „Es iſt hoch an
der Zeit, der Feind iſt nicht mehr weit, hüte dich,
hüte dich!“ Darauf verlohr ſie ſich augenblicklich
unter dem Haufen und ich ſah ſie nicht mehr wie¬
der. Mir wurde dabey nicht wohl zu Muthe und
die abentheuerlichen Worte giengen mir wunderlich
im Kopfe herum.
Indeß brachten mich die anderen Geſellen wie¬
der auf andere Gedanken. Denn ſie drängten ſich
immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre
verübten Schwänke und Schalksthaten, worunter
eine beſonders meine Aufmerkſamkeit auf ſich zog.
Ein junger Burſch erzählte mir nemlich, wie ſeine
Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reiſenden
welſchen Dame, die mit einem Herrn im Wirthshau¬
ſe übernachtete, ihr kleines Kind geſtohlen habe, weil
es ſo wunderſchön ausſah. Er beſchrieb mir dabey
alle Nebenumſtände ſo genau, daß ich faſt nicht
zweifeln konnte, die reiſende welſche Dame ſey nie¬
mand anders als Angelina ſelbſt geweſen. — Ich
ſprang auf und drang in ihn, mir die Geraubte ſo¬
gleich zu zeigen. Beſtürzt über meinen unerklärli¬
chen Ungeſtümm, antwortete er mir: das geraubte
Fräulein wuchs theils unter uns, theils unter un¬
ſeren Brüdern in einer Waldmühle auf, wo ſie vor
einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus ver¬
ſchwunden iſt, ohne daß wir wiſſen, wohin? —
So war alſo Erwine deine Tochter! fiel hier
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/441>, abgerufen am 23.11.2024.
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