Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher
Trieb war nun erfüllt. Finsterer, als die Nacht
um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn
stand unten am Ufer des Stromes angebunden.
Ich stieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬
ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf
und wieder unter, ich saß und fuhr noch immer¬
fort.

Den anderen Morgen verlohr sich der Strom
zwischen wilden, einsamen Wäldern und Schluften.
Der Hunger trieb mich ans Land. Es war diese
Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren
das Schloß, das ihr gesehen. Ein alter, verrück¬
ter Einsiedler wohnte damals dann, von dessen
früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬
te. Es gefiel nur gar wohl in dieser Wuste und
ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf starb der
Alte und hinterließ mir seine alten Bücher, sein
verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den
Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬
kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen
Nutzen und Vergnügen. Aber ich passe nirgends
mehr in die Welt hinein. Die Welt ist ein gro¬
ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte,
weiche, bewegliche Menschen, die sie in ihren viel¬
fach-verschlungenen, langweiligen Kanälen verar¬
beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und sie wirft
solche Gesellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬
sen, fest, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. --

Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher
Trieb war nun erfüllt. Finſterer, als die Nacht
um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn
ſtand unten am Ufer des Stromes angebunden.
Ich ſtieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬
ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf
und wieder unter, ich ſaß und fuhr noch immer¬
fort.

Den anderen Morgen verlohr ſich der Strom
zwiſchen wilden, einſamen Wäldern und Schluften.
Der Hunger trieb mich ans Land. Es war dieſe
Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren
das Schloß, das ihr geſehen. Ein alter, verrück¬
ter Einſiedler wohnte damals dann, von deſſen
früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬
te. Es gefiel nur gar wohl in dieſer Wuſte und
ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf ſtarb der
Alte und hinterließ mir ſeine alten Bücher, ſein
verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den
Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬
kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen
Nutzen und Vergnügen. Aber ich paſſe nirgends
mehr in die Welt hinein. Die Welt iſt ein gro¬
ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte,
weiche, bewegliche Menſchen, die ſie in ihren viel¬
fach-verſchlungenen, langweiligen Kanälen verar¬
beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und ſie wirft
ſolche Geſellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬
ſen, feſt, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0450" n="444"/>
          <p>Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher<lb/>
Trieb war nun erfüllt. Fin&#x017F;terer, als die Nacht<lb/>
um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn<lb/>
&#x017F;tand unten am Ufer des Stromes angebunden.<lb/>
Ich &#x017F;tieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬<lb/>
ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf<lb/>
und wieder unter, ich &#x017F;aß und fuhr noch immer¬<lb/>
fort.</p><lb/>
          <p>Den anderen Morgen verlohr &#x017F;ich der Strom<lb/>
zwi&#x017F;chen wilden, ein&#x017F;amen Wäldern und Schluften.<lb/>
Der Hunger trieb mich ans Land. Es war die&#x017F;e<lb/>
Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren<lb/>
das Schloß, das ihr ge&#x017F;ehen. Ein alter, verrück¬<lb/>
ter Ein&#x017F;iedler wohnte damals dann, von de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬<lb/>
te. Es gefiel nur gar wohl in die&#x017F;er Wu&#x017F;te und<lb/>
ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf &#x017F;tarb der<lb/>
Alte und hinterließ mir &#x017F;eine alten Bücher, &#x017F;ein<lb/>
verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den<lb/>
Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬<lb/>
kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen<lb/>
Nutzen und Vergnügen. Aber ich pa&#x017F;&#x017F;e nirgends<lb/>
mehr in die Welt hinein. Die Welt i&#x017F;t ein gro¬<lb/>
ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte,<lb/>
weiche, bewegliche Men&#x017F;chen, die &#x017F;ie in ihren viel¬<lb/>
fach-ver&#x017F;chlungenen, langweiligen Kanälen verar¬<lb/>
beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und &#x017F;ie wirft<lb/>
&#x017F;olche Ge&#x017F;ellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬<lb/>
&#x017F;en, fe&#x017F;t, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0450] Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher Trieb war nun erfüllt. Finſterer, als die Nacht um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn ſtand unten am Ufer des Stromes angebunden. Ich ſtieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬ ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf und wieder unter, ich ſaß und fuhr noch immer¬ fort. Den anderen Morgen verlohr ſich der Strom zwiſchen wilden, einſamen Wäldern und Schluften. Der Hunger trieb mich ans Land. Es war dieſe Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß, das ihr geſehen. Ein alter, verrück¬ ter Einſiedler wohnte damals dann, von deſſen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬ te. Es gefiel nur gar wohl in dieſer Wuſte und ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf ſtarb der Alte und hinterließ mir ſeine alten Bücher, ſein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬ kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen. Aber ich paſſe nirgends mehr in die Welt hinein. Die Welt iſt ein gro¬ ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte, weiche, bewegliche Menſchen, die ſie in ihren viel¬ fach-verſchlungenen, langweiligen Kanälen verar¬ beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und ſie wirft ſolche Geſellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬ ſen, feſt, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/450
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/450>, abgerufen am 23.11.2024.