sen. Durch diese fortlaufende Beschäftigung, die Einsamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo sie dann Rudolph wieder in die Welt hinaussandte und gerührt auf immer von ihnen Abschied nahm.
In Friedrich'n entwickelte diese Abgeschiedenheit endlich die ursprüngliche religiöse Kraft seiner See¬ le, die schon im Weltleben, durch gutmüthiges Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten oft verschlagen und falsche Bahnen suchend, aus al¬ len seinen Bestrebungen, Thaten, Poesieen und Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle sei¬ ne Pläne, Talentchen, Künste und Wissenschaften unten zurückgelassen, und las wieder die Bibel, wie er schon einmal als Kind angefangen. Da fand er Trost über die Verwirrung der Zeit und das ein¬ zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreutze. Er hatte endlich den phantastischen, tau¬ sendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und stand nun in blanker Rüstung als Kämpfer Gottes gleich¬ sam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft, wenn er da über die Thäler hinaussah, fiel er auf seine Kniee und betete inbrünstig zu Gott, ihm Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬ fahren, durch Wort und That seinen Brüdern mitzutheilen. -- Leontin dagegen wurde hier oben ganz melankolisch und wehmüthig, wie ihn Friedrich noch niemals gesehen. Es fehlte ihm hier alle Handhabe, das Leben anzugreifen. --
ſen. Durch dieſe fortlaufende Beſchäftigung, die Einſamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo ſie dann Rudolph wieder in die Welt hinausſandte und gerührt auf immer von ihnen Abſchied nahm.
In Friedrich'n entwickelte dieſe Abgeſchiedenheit endlich die urſprüngliche religiöſe Kraft ſeiner See¬ le, die ſchon im Weltleben, durch gutmüthiges Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten oft verſchlagen und falſche Bahnen ſuchend, aus al¬ len ſeinen Beſtrebungen, Thaten, Poeſieen und Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle ſei¬ ne Pläne, Talentchen, Künſte und Wiſſenſchaften unten zurückgelaſſen, und las wieder die Bibel, wie er ſchon einmal als Kind angefangen. Da fand er Troſt über die Verwirrung der Zeit und das ein¬ zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreutze. Er hatte endlich den phantaſtiſchen, tau¬ ſendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und ſtand nun in blanker Rüſtung als Kämpfer Gottes gleich¬ ſam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft, wenn er da über die Thäler hinausſah, fiel er auf ſeine Kniee und betete inbrünſtig zu Gott, ihm Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬ fahren, durch Wort und That ſeinen Brüdern mitzutheilen. — Leontin dagegen wurde hier oben ganz melankoliſch und wehmüthig, wie ihn Friedrich noch niemals geſehen. Es fehlte ihm hier alle Handhabe, das Leben anzugreifen. —
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ſen. Durch dieſe fortlaufende Beſchäftigung, die
Einſamkeit und reine Bergluft kamen viele von
ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo ſie
dann Rudolph wieder in die Welt hinausſandte und
gerührt auf immer von ihnen Abſchied nahm.
In Friedrich'n entwickelte dieſe Abgeſchiedenheit
endlich die urſprüngliche religiöſe Kraft ſeiner See¬
le, die ſchon im Weltleben, durch gutmüthiges
Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten
oft verſchlagen und falſche Bahnen ſuchend, aus al¬
len ſeinen Beſtrebungen, Thaten, Poeſieen und
Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle ſei¬
ne Pläne, Talentchen, Künſte und Wiſſenſchaften
unten zurückgelaſſen, und las wieder die Bibel,
wie er ſchon einmal als Kind angefangen. Da fand
er Troſt über die Verwirrung der Zeit und das ein¬
zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen
Kreutze. Er hatte endlich den phantaſtiſchen, tau¬
ſendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und ſtand
nun in blanker Rüſtung als Kämpfer Gottes gleich¬
ſam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft,
wenn er da über die Thäler hinausſah, fiel er auf
ſeine Kniee und betete inbrünſtig zu Gott, ihm
Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬
fahren, durch Wort und That ſeinen Brüdern
mitzutheilen. — Leontin dagegen wurde hier oben
ganz melankoliſch und wehmüthig, wie ihn Friedrich
noch niemals geſehen. Es fehlte ihm hier alle
Handhabe, das Leben anzugreifen. —
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/453>, abgerufen am 24.11.2024.
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