Wald, um Vögel zu schießen. Die lustigen, bun¬ ten Sänger, die von einem Wipfel zum andern vor ihnen herflogen, lockten sie immer weiter zwischen den dunkelgrünen Hallen fort, so daß sie erst nach langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten.
Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaf¬ tigkeit und Freude entgegengesprungen und sagte, daß Rosa fort sey. Ein Wagen, erzählte der Knabe, sey bald, nachdem sie fortgegangen wären, die Straße hergefahren. Eine schöne junge Dame sah aus dem Wagen heraus, ließ sogleich stillhal¬ ten, und kam auf die Gräfin Rosa zu, mit der sie sich dann lange sehr lebhaft und mit vielen Freu¬ den besprach. Zulezt bat sie dieselbe, mit ihr zu fahren. Rosa wollte Anfangs nicht, aber die fremde Dame streichelte und küßte sie und schob sie endlich halb mit Gewalt in den Wagen. Die klei¬ ne Marie mußte auch mit einsitzen, und so hatten sie den Weg nach der Residenz eingeschlagen. -- Friedrich kränkte bey dieser unerwarteten Nach¬ richt die Leichtfertigkeit, mit der ihn Rosa so schnell verlassen konnte, in tiefster Seele. -- Als sie an den Feldtisch in der Mitte der Aue kamen, fanden sie dort ein Papier, worauf mit Bleystift geschrie¬ ben stand: "Die Gräfin Romana."
Das dacht' ich gleich, rief Leontin, das ist so ihre Weise. -- Wer ist die Dame? fragte Frie¬ drich. -- Eine junge reiche Wittwe, antwortete Leontin, die nicht weiß, was sie mit ihrer Schön¬
Wald, um Vögel zu ſchießen. Die luſtigen, bun¬ ten Sänger, die von einem Wipfel zum andern vor ihnen herflogen, lockten ſie immer weiter zwiſchen den dunkelgrünen Hallen fort, ſo daß ſie erſt nach langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten.
Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaf¬ tigkeit und Freude entgegengeſprungen und ſagte, daß Roſa fort ſey. Ein Wagen, erzählte der Knabe, ſey bald, nachdem ſie fortgegangen wären, die Straße hergefahren. Eine ſchöne junge Dame ſah aus dem Wagen heraus, ließ ſogleich ſtillhal¬ ten, und kam auf die Gräfin Roſa zu, mit der ſie ſich dann lange ſehr lebhaft und mit vielen Freu¬ den beſprach. Zulezt bat ſie dieſelbe, mit ihr zu fahren. Roſa wollte Anfangs nicht, aber die fremde Dame ſtreichelte und küßte ſie und ſchob ſie endlich halb mit Gewalt in den Wagen. Die klei¬ ne Marie mußte auch mit einſitzen, und ſo hatten ſie den Weg nach der Reſidenz eingeſchlagen. — Friedrich kränkte bey dieſer unerwarteten Nach¬ richt die Leichtfertigkeit, mit der ihn Roſa ſo ſchnell verlaſſen konnte, in tiefſter Seele. — Als ſie an den Feldtiſch in der Mitte der Aue kamen, fanden ſie dort ein Papier, worauf mit Bleyſtift geſchrie¬ ben ſtand: „Die Gräfin Romana.“
Das dacht' ich gleich, rief Leontin, das iſt ſo ihre Weiſe. — Wer iſt die Dame? fragte Frie¬ drich. — Eine junge reiche Wittwe, antwortete Leontin, die nicht weiß, was ſie mit ihrer Schön¬
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Wald, um Vögel zu ſchießen. Die luſtigen, bun¬
ten Sänger, die von einem Wipfel zum andern vor
ihnen herflogen, lockten ſie immer weiter zwiſchen
den dunkelgrünen Hallen fort, ſo daß ſie erſt nach
langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten.
Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaf¬
tigkeit und Freude entgegengeſprungen und ſagte,
daß Roſa fort ſey. Ein Wagen, erzählte der
Knabe, ſey bald, nachdem ſie fortgegangen wären,
die Straße hergefahren. Eine ſchöne junge Dame
ſah aus dem Wagen heraus, ließ ſogleich ſtillhal¬
ten, und kam auf die Gräfin Roſa zu, mit der
ſie ſich dann lange ſehr lebhaft und mit vielen Freu¬
den beſprach. Zulezt bat ſie dieſelbe, mit ihr zu
fahren. Roſa wollte Anfangs nicht, aber die
fremde Dame ſtreichelte und küßte ſie und ſchob ſie
endlich halb mit Gewalt in den Wagen. Die klei¬
ne Marie mußte auch mit einſitzen, und ſo hatten
ſie den Weg nach der Reſidenz eingeſchlagen. —
Friedrich kränkte bey dieſer unerwarteten Nach¬
richt die Leichtfertigkeit, mit der ihn Roſa ſo ſchnell
verlaſſen konnte, in tiefſter Seele. — Als ſie an
den Feldtiſch in der Mitte der Aue kamen, fanden
ſie dort ein Papier, worauf mit Bleyſtift geſchrie¬
ben ſtand: „Die Gräfin Romana.“
Das dacht' ich gleich, rief Leontin, das iſt ſo
ihre Weiſe. — Wer iſt die Dame? fragte Frie¬
drich. — Eine junge reiche Wittwe, antwortete
Leontin, die nicht weiß, was ſie mit ihrer Schön¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/97>, abgerufen am 18.10.2024.
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