und ließen sie gehen. -- Leontin fuhr lustig über die Saiten der Guitarre und sang:
Der Liebende steht träge auf, Zieht ein Herr Jemine-Gesicht, Und wünscht, er wäre todt. Der Morgen thut sich prächtig auf, So silbern geht der Ströme Lauf, Die Vöglein schwingen hell sich auf: "Bad', Menschlein, dich im Morgenroth, Dein Sorgen ist ein Wicht!"
Darauf bestiegen sie beyde ihre Pferde und ritten in das Gebirge hinein.
Nachdem sie so mehrere Tage herumgeirrt, und die merkwürdigsten Orte des Gebirges in Augen¬ schein genommen hatten, kamen sie eines Abends schon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo sie im Wirthshause einkehrten. Dort aber war alles leer und nur von einer alten Frau, die allein in der Stube saß, erfuhren sie, daß der Pächter des Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch seine Grundherrschaft sich befände, und daß daher alles aus dem Hause gelaufen sey, um dem Tanze zuzu¬ sehen.
Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und die Nacht sehr schön war, so entschlossen sich auch die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬ chen. Sie strichen durch's Dorf und kamen bald darauf am andern Ende desselben an einen Garten, hinter welchem sich die Wohnung des Pächters be¬
und ließen ſie gehen. — Leontin fuhr luſtig über die Saiten der Guitarre und ſang:
Der Liebende ſteht träge auf, Zieht ein Herr Jemine-Geſicht, Und wünſcht, er wäre todt. Der Morgen thut ſich prächtig auf, So ſilbern geht der Ströme Lauf, Die Vöglein ſchwingen hell ſich auf: „Bad', Menſchlein, dich im Morgenroth, Dein Sorgen iſt ein Wicht!“
Darauf beſtiegen ſie beyde ihre Pferde und ritten in das Gebirge hinein.
Nachdem ſie ſo mehrere Tage herumgeirrt, und die merkwürdigſten Orte des Gebirges in Augen¬ ſchein genommen hatten, kamen ſie eines Abends ſchon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo ſie im Wirthshauſe einkehrten. Dort aber war alles leer und nur von einer alten Frau, die allein in der Stube ſaß, erfuhren ſie, daß der Pächter des Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch ſeine Grundherrſchaft ſich befände, und daß daher alles aus dem Hauſe gelaufen ſey, um dem Tanze zuzu¬ ſehen.
Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und die Nacht ſehr ſchön war, ſo entſchloſſen ſich auch die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬ chen. Sie ſtrichen durch's Dorf und kamen bald darauf am andern Ende deſſelben an einen Garten, hinter welchem ſich die Wohnung des Pächters be¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0099"n="93"/>
und ließen ſie gehen. — Leontin fuhr luſtig über<lb/>
die Saiten der Guitarre und ſang:<lb/><lgtype="poem"><l>Der Liebende ſteht träge auf,</l><lb/><l>Zieht ein Herr Jemine-Geſicht,</l><lb/><l>Und wünſcht, er wäre todt.</l><lb/><l>Der Morgen thut ſich prächtig auf,</l><lb/><l>So ſilbern geht der Ströme Lauf,</l><lb/><l>Die Vöglein ſchwingen hell ſich auf:</l><lb/><l>„Bad', Menſchlein, dich im Morgenroth,</l><lb/><l>Dein Sorgen iſt ein Wicht!“</l><lb/></lg> Darauf beſtiegen ſie beyde ihre Pferde und ritten<lb/>
in das Gebirge hinein.</p><lb/><p>Nachdem ſie ſo mehrere Tage herumgeirrt, und<lb/>
die merkwürdigſten Orte des Gebirges in Augen¬<lb/>ſchein genommen hatten, kamen ſie eines Abends<lb/>ſchon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo ſie<lb/>
im Wirthshauſe einkehrten. Dort aber war alles<lb/>
leer und nur von einer alten Frau, die allein in<lb/>
der Stube ſaß, erfuhren ſie, daß der Pächter des<lb/>
Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch ſeine<lb/>
Grundherrſchaft ſich befände, und daß daher alles<lb/>
aus dem Hauſe gelaufen ſey, um dem Tanze zuzu¬<lb/>ſehen.</p><lb/><p>Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und<lb/>
die Nacht ſehr ſchön war, ſo entſchloſſen ſich auch<lb/>
die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬<lb/>
chen. Sie ſtrichen durch's Dorf und kamen bald<lb/>
darauf am andern Ende deſſelben an einen Garten,<lb/>
hinter welchem ſich die Wohnung des Pächters be¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[93/0099]
und ließen ſie gehen. — Leontin fuhr luſtig über
die Saiten der Guitarre und ſang:
Der Liebende ſteht träge auf,
Zieht ein Herr Jemine-Geſicht,
Und wünſcht, er wäre todt.
Der Morgen thut ſich prächtig auf,
So ſilbern geht der Ströme Lauf,
Die Vöglein ſchwingen hell ſich auf:
„Bad', Menſchlein, dich im Morgenroth,
Dein Sorgen iſt ein Wicht!“
Darauf beſtiegen ſie beyde ihre Pferde und ritten
in das Gebirge hinein.
Nachdem ſie ſo mehrere Tage herumgeirrt, und
die merkwürdigſten Orte des Gebirges in Augen¬
ſchein genommen hatten, kamen ſie eines Abends
ſchon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo ſie
im Wirthshauſe einkehrten. Dort aber war alles
leer und nur von einer alten Frau, die allein in
der Stube ſaß, erfuhren ſie, daß der Pächter des
Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch ſeine
Grundherrſchaft ſich befände, und daß daher alles
aus dem Hauſe gelaufen ſey, um dem Tanze zuzu¬
ſehen.
Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und
die Nacht ſehr ſchön war, ſo entſchloſſen ſich auch
die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬
chen. Sie ſtrichen durch's Dorf und kamen bald
darauf am andern Ende deſſelben an einen Garten,
hinter welchem ſich die Wohnung des Pächters be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/99>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.