Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Kirschgärten unten blühten wieder, und lustige Kähne
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang
ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehört, auf
das ich mich aber seitdem durchaus nicht wieder besin¬
nen konnte. Ich wachte vor Freude darüber auf,
das Fenster stand noch offen, und als ich mich hin¬
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die
stille Nacht herüber. -- Seht, ein solcher Lufthauch
wendet oft das Narrenschiff des Menschen! Ohne
selber recht zu wissen, was ich that oder wollte, klei¬
dete ich mich rasch an, schnürte mein Bündel, im
Hause schliefen noch alle, und ehe eine Viertelstunde
verging, wanderte ich schon durch die dunkle Kasta¬
nienallee das stille Dorf entlang. Als ich ins Freie
kam, tönte das Lied noch immerfort, aber sehr fern. --

Hier hielt er plötzlich erschrocken inne, man hörte
tief im Garten singen; die Luft kam von dort herüber;
sie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund'?
Lockt's dich nicht hinabzulauschen
Von dem Söller in den Grund,
Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein
Und die stillen Schlösser sehen
In den Fluß vom hohen Stein.

Das ist das Lied! -- rief Otto, und eilte ganz ver¬
wirrt den Berg hinab. Unten aber sang es von neuem:

8

Kirſchgaͤrten unten bluͤhten wieder, und luſtige Kaͤhne
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang
ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehoͤrt, auf
das ich mich aber ſeitdem durchaus nicht wieder beſin¬
nen konnte. Ich wachte vor Freude daruͤber auf,
das Fenſter ſtand noch offen, und als ich mich hin¬
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die
ſtille Nacht heruͤber. — Seht, ein ſolcher Lufthauch
wendet oft das Narrenſchiff des Menſchen! Ohne
ſelber recht zu wiſſen, was ich that oder wollte, klei¬
dete ich mich raſch an, ſchnuͤrte mein Buͤndel, im
Hauſe ſchliefen noch alle, und ehe eine Viertelſtunde
verging, wanderte ich ſchon durch die dunkle Kaſta¬
nienallee das ſtille Dorf entlang. Als ich ins Freie
kam, toͤnte das Lied noch immerfort, aber ſehr fern. —

Hier hielt er ploͤtzlich erſchrocken inne, man hoͤrte
tief im Garten ſingen; die Luft kam von dort heruͤber;
ſie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen
Draußen durch die ſtille Rund'?
Lockt's dich nicht hinabzulauſchen
Von dem Soͤller in den Grund,
Wo die vielen Baͤche gehen
Wunderbar im Mondenſchein
Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen
In den Fluß vom hohen Stein.

Das iſt das Lied! — rief Otto, und eilte ganz ver¬
wirrt den Berg hinab. Unten aber ſang es von neuem:

8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="113"/>
Kir&#x017F;chga&#x0364;rten unten blu&#x0364;hten wieder, und lu&#x017F;tige Ka&#x0364;hne<lb/>
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang<lb/>
ein Lied aus dem Thale, das ich damals geho&#x0364;rt, auf<lb/>
das ich mich aber &#x017F;eitdem durchaus nicht wieder be&#x017F;in¬<lb/>
nen konnte. Ich wachte vor Freude daru&#x0364;ber auf,<lb/>
das Fen&#x017F;ter &#x017F;tand noch offen, und als ich mich hin¬<lb/>
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die<lb/>
&#x017F;tille Nacht heru&#x0364;ber. &#x2014; Seht, ein &#x017F;olcher Lufthauch<lb/>
wendet oft das Narren&#x017F;chiff des Men&#x017F;chen! Ohne<lb/>
&#x017F;elber recht zu wi&#x017F;&#x017F;en, was ich that oder wollte, klei¬<lb/>
dete ich mich ra&#x017F;ch an, &#x017F;chnu&#x0364;rte mein Bu&#x0364;ndel, im<lb/>
Hau&#x017F;e &#x017F;chliefen noch alle, und ehe eine Viertel&#x017F;tunde<lb/>
verging, wanderte ich &#x017F;chon durch die dunkle Ka&#x017F;ta¬<lb/>
nienallee das &#x017F;tille Dorf entlang. Als ich ins Freie<lb/>
kam, to&#x0364;nte das Lied noch immerfort, aber &#x017F;ehr fern. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Hier hielt er plo&#x0364;tzlich er&#x017F;chrocken inne, man ho&#x0364;rte<lb/>
tief im Garten &#x017F;ingen; die Luft kam von dort heru&#x0364;ber;<lb/>
&#x017F;ie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">Ho&#x0364;r&#x017F;t du nicht die Ba&#x0364;ume rau&#x017F;chen</l><lb/>
            <l>Draußen durch die &#x017F;tille Rund'?</l><lb/>
            <l>Lockt's dich nicht hinabzulau&#x017F;chen</l><lb/>
            <l>Von dem So&#x0364;ller in den Grund,</l><lb/>
            <l>Wo die vielen Ba&#x0364;che gehen</l><lb/>
            <l>Wunderbar im Monden&#x017F;chein</l><lb/>
            <l>Und die &#x017F;tillen Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ehen</l><lb/>
            <l>In den Fluß vom hohen Stein.</l><lb/>
          </lg>
          <p>Das i&#x017F;t das Lied! &#x2014; rief Otto, und eilte ganz ver¬<lb/>
wirrt den Berg hinab. Unten aber &#x017F;ang es von neuem:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">8<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0120] Kirſchgaͤrten unten bluͤhten wieder, und luſtige Kaͤhne mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehoͤrt, auf das ich mich aber ſeitdem durchaus nicht wieder beſin¬ nen konnte. Ich wachte vor Freude daruͤber auf, das Fenſter ſtand noch offen, und als ich mich hin¬ auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die ſtille Nacht heruͤber. — Seht, ein ſolcher Lufthauch wendet oft das Narrenſchiff des Menſchen! Ohne ſelber recht zu wiſſen, was ich that oder wollte, klei¬ dete ich mich raſch an, ſchnuͤrte mein Buͤndel, im Hauſe ſchliefen noch alle, und ehe eine Viertelſtunde verging, wanderte ich ſchon durch die dunkle Kaſta¬ nienallee das ſtille Dorf entlang. Als ich ins Freie kam, toͤnte das Lied noch immerfort, aber ſehr fern. — Hier hielt er ploͤtzlich erſchrocken inne, man hoͤrte tief im Garten ſingen; die Luft kam von dort heruͤber; ſie konnten deutlich folgende Worte vernehmen: Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen Draußen durch die ſtille Rund'? Lockt's dich nicht hinabzulauſchen Von dem Soͤller in den Grund, Wo die vielen Baͤche gehen Wunderbar im Mondenſchein Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen In den Fluß vom hohen Stein. Das iſt das Lied! — rief Otto, und eilte ganz ver¬ wirrt den Berg hinab. Unten aber ſang es von neuem: 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/120
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/120>, abgerufen am 21.11.2024.