Bei dem schönsten Frühlingswetter zogen die bei¬ den Freunde, auf ihren Pferden fröhlich von den alten Zeiten mit einander schwatzend, in das morgenrothe Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬ gern Weg durch das Gebirge eingeschlagen, auf wel¬ chem sie Hohenstein, den Sitz des Grafen Victor, nach Walters Versicherung noch vor Nacht bequem erreichen konnten. Das Städtchen mit seiner grünen Stille lag schon weit hinter ihnen, ein frischer Wind ging durch alle Bäume, und Walter fühlte sich recht wie ein Vogel, der aus dem Käfig entflohen. Er war fast ausgelassen heiter, schwenkte den Hut in der Luft, und stimmte alte Studentenlieder an, so daß es den beiden Reitern vorkam, als wären sie nie getrennt gewesen, und zögen nur eben wieder aus dem Thor von Heidelberg den grünen Bergen zu. In dieser Stimmung ließ er sich gern von dem unruhigen For¬ tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬ ten plauderte, dann wieder einen schönen Berggipfel oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte. So waren sie lange auf's Gerathewohl umherge¬ schweift, als Walter endlich zu seinem Schrecken be¬
Zweites Kapitel.
Bei dem ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zogen die bei¬ den Freunde, auf ihren Pferden froͤhlich von den alten Zeiten mit einander ſchwatzend, in das morgenrothe Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬ gern Weg durch das Gebirge eingeſchlagen, auf wel¬ chem ſie Hohenſtein, den Sitz des Grafen Victor, nach Walters Verſicherung noch vor Nacht bequem erreichen konnten. Das Staͤdtchen mit ſeiner gruͤnen Stille lag ſchon weit hinter ihnen, ein friſcher Wind ging durch alle Baͤume, und Walter fuͤhlte ſich recht wie ein Vogel, der aus dem Kaͤfig entflohen. Er war faſt ausgelaſſen heiter, ſchwenkte den Hut in der Luft, und ſtimmte alte Studentenlieder an, ſo daß es den beiden Reitern vorkam, als waͤren ſie nie getrennt geweſen, und zoͤgen nur eben wieder aus dem Thor von Heidelberg den gruͤnen Bergen zu. In dieſer Stimmung ließ er ſich gern von dem unruhigen For¬ tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬ ten plauderte, dann wieder einen ſchoͤnen Berggipfel oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte. So waren ſie lange auf's Gerathewohl umherge¬ ſchweift, als Walter endlich zu ſeinem Schrecken be¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0022"n="15"/></div><divn="2"><head><hirendition="#fr #g">Zweites Kapitel</hi>.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Bei dem ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zogen die bei¬<lb/>
den Freunde, auf ihren Pferden froͤhlich von den alten<lb/>
Zeiten mit einander ſchwatzend, in das morgenrothe<lb/>
Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬<lb/>
gern Weg durch das Gebirge eingeſchlagen, auf wel¬<lb/>
chem ſie <hirendition="#g">Hohenſtein</hi>, den Sitz des Grafen <hirendition="#g">Victor</hi>,<lb/>
nach Walters Verſicherung noch vor Nacht bequem<lb/>
erreichen konnten. Das Staͤdtchen mit ſeiner gruͤnen<lb/>
Stille lag ſchon weit hinter ihnen, ein friſcher Wind<lb/>
ging durch alle Baͤume, und Walter fuͤhlte ſich recht<lb/>
wie ein Vogel, der aus dem Kaͤfig entflohen. Er<lb/>
war faſt ausgelaſſen heiter, ſchwenkte den Hut in der<lb/>
Luft, und ſtimmte alte Studentenlieder an, ſo daß es<lb/>
den beiden Reitern vorkam, als waͤren ſie nie getrennt<lb/>
geweſen, und zoͤgen nur eben wieder aus dem Thor<lb/>
von Heidelberg den gruͤnen Bergen zu. In dieſer<lb/>
Stimmung ließ er ſich gern von dem unruhigen For¬<lb/>
tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines<lb/>
unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬<lb/>
ten plauderte, dann wieder einen ſchoͤnen Berggipfel<lb/>
oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte.<lb/>
So waren ſie lange auf's Gerathewohl umherge¬<lb/>ſchweift, als Walter endlich zu ſeinem Schrecken be¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[15/0022]
Zweites Kapitel.
Bei dem ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zogen die bei¬
den Freunde, auf ihren Pferden froͤhlich von den alten
Zeiten mit einander ſchwatzend, in das morgenrothe
Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬
gern Weg durch das Gebirge eingeſchlagen, auf wel¬
chem ſie Hohenſtein, den Sitz des Grafen Victor,
nach Walters Verſicherung noch vor Nacht bequem
erreichen konnten. Das Staͤdtchen mit ſeiner gruͤnen
Stille lag ſchon weit hinter ihnen, ein friſcher Wind
ging durch alle Baͤume, und Walter fuͤhlte ſich recht
wie ein Vogel, der aus dem Kaͤfig entflohen. Er
war faſt ausgelaſſen heiter, ſchwenkte den Hut in der
Luft, und ſtimmte alte Studentenlieder an, ſo daß es
den beiden Reitern vorkam, als waͤren ſie nie getrennt
geweſen, und zoͤgen nur eben wieder aus dem Thor
von Heidelberg den gruͤnen Bergen zu. In dieſer
Stimmung ließ er ſich gern von dem unruhigen For¬
tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines
unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬
ten plauderte, dann wieder einen ſchoͤnen Berggipfel
oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte.
So waren ſie lange auf's Gerathewohl umherge¬
ſchweift, als Walter endlich zu ſeinem Schrecken be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/22>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.