selbst nicht eingestehen mochte. Es war fest beschlossen, er wollte sogleich morgen weiter nach Neapel reisen, ohne Fiametta noch einmal wiederzusehen. Noch in der Nacht schrieb er sein Vorhaben dem Marchese, der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer Wuth lustige deutsche Lieder singend, seinen Koffer. Dabei schwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:
"Das Kränzlein ist herausgerissen,
Ganz ohne Scheu sie mich anlacht: Geh' du vorbei: sie wird dich grüßen, Winkt dir zu einer schönen Nacht."
immerfort durch den Sinn, daß er darüber aus Her¬ zensgrunde hätte weinen mögen.
Am folgenden Morgen hatte er noch einige weit¬ läufige Gänge, um das nöthige Reisegeld zu erheben; so war die Mittagsstunde herangekommen, die Zeit der zauberischen Schwüle, die im Süden alles Ledendige überwältigt. Dennoch wollte er nicht abreisen, ohne vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu ma¬ chen. Da rührte sich jetzt kein Blättchen in der wei¬ ten, träumerischen Stille, die Vögel schwiegen, nur einzelne Schlangen sonnten sich ringelnd auf den ein¬ samen Gängen, alle Menschen lagen wie todt. Es war das erstemal, daß er hier zu dieser Stunde wach war, und dieses Schlafen der Natur mit offenen Augen erschreckte ihn gespenstisch. Er flüchtete nach einem kühlen Gartenhause, blieb aber überrascht im
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ſelbſt nicht eingeſtehen mochte. Es war feſt beſchloſſen, er wollte ſogleich morgen weiter nach Neapel reiſen, ohne Fiametta noch einmal wiederzuſehen. Noch in der Nacht ſchrieb er ſein Vorhaben dem Marcheſe, der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer Wuth luſtige deutſche Lieder ſingend, ſeinen Koffer. Dabei ſchwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:
„Das Kraͤnzlein iſt herausgeriſſen,
Ganz ohne Scheu ſie mich anlacht: Geh' du vorbei: ſie wird dich gruͤßen, Winkt dir zu einer ſchoͤnen Nacht.“
immerfort durch den Sinn, daß er daruͤber aus Her¬ zensgrunde haͤtte weinen moͤgen.
Am folgenden Morgen hatte er noch einige weit¬ laͤufige Gaͤnge, um das noͤthige Reiſegeld zu erheben; ſo war die Mittagsſtunde herangekommen, die Zeit der zauberiſchen Schwuͤle, die im Suͤden alles Ledendige uͤberwaͤltigt. Dennoch wollte er nicht abreiſen, ohne vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu ma¬ chen. Da ruͤhrte ſich jetzt kein Blaͤttchen in der wei¬ ten, traͤumeriſchen Stille, die Voͤgel ſchwiegen, nur einzelne Schlangen ſonnten ſich ringelnd auf den ein¬ ſamen Gaͤngen, alle Menſchen lagen wie todt. Es war das erſtemal, daß er hier zu dieſer Stunde wach war, und dieſes Schlafen der Natur mit offenen Augen erſchreckte ihn geſpenſtiſch. Er fluͤchtete nach einem kuͤhlen Gartenhauſe, blieb aber uͤberraſcht im
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ſelbſt nicht eingeſtehen mochte. Es war feſt beſchloſſen,
er wollte ſogleich morgen weiter nach Neapel reiſen,
ohne Fiametta noch einmal wiederzuſehen. Noch in
der Nacht ſchrieb er ſein Vorhaben dem Marcheſe,
der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer
Wuth luſtige deutſche Lieder ſingend, ſeinen Koffer.
Dabei ſchwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:
„Das Kraͤnzlein iſt herausgeriſſen,
Ganz ohne Scheu ſie mich anlacht:
Geh' du vorbei: ſie wird dich gruͤßen,
Winkt dir zu einer ſchoͤnen Nacht.“
immerfort durch den Sinn, daß er daruͤber aus Her¬
zensgrunde haͤtte weinen moͤgen.
Am folgenden Morgen hatte er noch einige weit¬
laͤufige Gaͤnge, um das noͤthige Reiſegeld zu erheben;
ſo war die Mittagsſtunde herangekommen, die Zeit der
zauberiſchen Schwuͤle, die im Suͤden alles Ledendige
uͤberwaͤltigt. Dennoch wollte er nicht abreiſen, ohne
vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu ma¬
chen. Da ruͤhrte ſich jetzt kein Blaͤttchen in der wei¬
ten, traͤumeriſchen Stille, die Voͤgel ſchwiegen, nur
einzelne Schlangen ſonnten ſich ringelnd auf den ein¬
ſamen Gaͤngen, alle Menſchen lagen wie todt. Es
war das erſtemal, daß er hier zu dieſer Stunde wach
war, und dieſes Schlafen der Natur mit offenen
Augen erſchreckte ihn geſpenſtiſch. Er fluͤchtete nach
einem kuͤhlen Gartenhauſe, blieb aber uͤberraſcht im
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/232>, abgerufen am 21.11.2024.
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