rasch über den Gartenzaun -- und alles war wieder todtenstill.
Otto starrte lange regungslos auf den dunklen Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf stürzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne zu wissen wohin -- er hatte ja nun keine Heimath mehr auf Erden! -- Die Straßen waren öde, die Wasserkünste im Mondschein, die ihm sonst so bräut¬ lich rauschten, kamen ihm jetzt gespenstisch vor wie ver¬ schleierte Nixen, im Winde sich beugend und neigend, als flüsterten sie heimlich von ihm und seiner Schande. Unwillkürlich hatte er den Weg zu Guido's Wohnung eingeschlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieser Stunde Jemand haben, dem er alles sagte. Zu sei¬ nem Erstaunen fand er die Thür nur leicht angelehnt, ein Licht brannte drinn. Als er in die Stube trat, sah er Kordelchen auf der Erde knieen zwischen Wäsche und Kleidern, die sie eifrig in einen Mantelsack packte. Sie blickte erstaunt, fast erschrocken nach ihm herum. Was willst du denn jetzt hier? sagte sie, Guido ist noch auf dem Lande, und kommt erst in einigen Ta¬ gen zurück. -- Otto'n aber wollte das Herz zersprin¬ gen, er warf sich auf das Sopha und brach, sein Ge¬ sicht mit beiden Händen bedeckend, in ein unaufhaltsa¬ mes Weinen aus. Da stutzte Kordelchen, sie ließ alles liegen, setzte sich zu ihm und tröstete und streichelte ihn neugierig und mit herzlicher Theilnahme, bis sie
raſch uͤber den Gartenzaun — und alles war wieder todtenſtill.
Otto ſtarrte lange regungslos auf den dunklen Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf ſtuͤrzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne zu wiſſen wohin — er hatte ja nun keine Heimath mehr auf Erden! — Die Straßen waren oͤde, die Waſſerkuͤnſte im Mondſchein, die ihm ſonſt ſo braͤut¬ lich rauſchten, kamen ihm jetzt geſpenſtiſch vor wie ver¬ ſchleierte Nixen, im Winde ſich beugend und neigend, als fluͤſterten ſie heimlich von ihm und ſeiner Schande. Unwillkuͤrlich hatte er den Weg zu Guido's Wohnung eingeſchlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieſer Stunde Jemand haben, dem er alles ſagte. Zu ſei¬ nem Erſtaunen fand er die Thuͤr nur leicht angelehnt, ein Licht brannte drinn. Als er in die Stube trat, ſah er Kordelchen auf der Erde knieen zwiſchen Waͤſche und Kleidern, die ſie eifrig in einen Mantelſack packte. Sie blickte erſtaunt, faſt erſchrocken nach ihm herum. Was willſt du denn jetzt hier? ſagte ſie, Guido iſt noch auf dem Lande, und kommt erſt in einigen Ta¬ gen zuruͤck. — Otto'n aber wollte das Herz zerſprin¬ gen, er warf ſich auf das Sopha und brach, ſein Ge¬ ſicht mit beiden Haͤnden bedeckend, in ein unaufhaltſa¬ mes Weinen aus. Da ſtutzte Kordelchen, ſie ließ alles liegen, ſetzte ſich zu ihm und troͤſtete und ſtreichelte ihn neugierig und mit herzlicher Theilnahme, bis ſie
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raſch uͤber den Gartenzaun — und alles war wieder
todtenſtill.
Otto ſtarrte lange regungslos auf den dunklen
Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf
ſtuͤrzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne
zu wiſſen wohin — er hatte ja nun keine Heimath
mehr auf Erden! — Die Straßen waren oͤde, die
Waſſerkuͤnſte im Mondſchein, die ihm ſonſt ſo braͤut¬
lich rauſchten, kamen ihm jetzt geſpenſtiſch vor wie ver¬
ſchleierte Nixen, im Winde ſich beugend und neigend,
als fluͤſterten ſie heimlich von ihm und ſeiner Schande.
Unwillkuͤrlich hatte er den Weg zu Guido's Wohnung
eingeſchlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieſer
Stunde Jemand haben, dem er alles ſagte. Zu ſei¬
nem Erſtaunen fand er die Thuͤr nur leicht angelehnt,
ein Licht brannte drinn. Als er in die Stube trat,
ſah er Kordelchen auf der Erde knieen zwiſchen Waͤſche
und Kleidern, die ſie eifrig in einen Mantelſack packte.
Sie blickte erſtaunt, faſt erſchrocken nach ihm herum.
Was willſt du denn jetzt hier? ſagte ſie, Guido iſt
noch auf dem Lande, und kommt erſt in einigen Ta¬
gen zuruͤck. — Otto'n aber wollte das Herz zerſprin¬
gen, er warf ſich auf das Sopha und brach, ſein Ge¬
ſicht mit beiden Haͤnden bedeckend, in ein unaufhaltſa¬
mes Weinen aus. Da ſtutzte Kordelchen, ſie ließ alles
liegen, ſetzte ſich zu ihm und troͤſtete und ſtreichelte
ihn neugierig und mit herzlicher Theilnahme, bis ſie
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/245>, abgerufen am 21.11.2024.
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