die ganze fremde Gegend tief verschneit und flimmerte im hellen Mondschein, als sollt' ich sterben vor Wehmuth.
Als ich mich von der Krankheit wieder erholte, stand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das Fenster stand offen, die Bäume draußen waren schon wieder grün und die Vögel sangen. Steh' nur auf, sagte mein Vater, wir reisen nach Deutschland! -- Er hatte sein Vermögen verloren, das Haus, unser Garten sollten verkauft werden, er mochte das nicht mit ansehen. So fuhren wir in einer schönen Früh¬ lingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauschten auf den stillen Gassen, in unserem Garten schlugen die Nachtigallen, als wüßten sie's auch, und als die Pa¬ läste und Kuppeln allmählich hinter uns im Mond¬ glanz versanken, sah ich meinen Vater zum erstenmal weinen.
Wo ist der Vater jetzt? unterbrach sie Fortunat hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen schweigend vor sich hin, er merkte, daß sie selber weinte. Dann sah sie sich plötzlich wieder nach allen Seiten um, und fuhr gefaßter fort:
Mein armer Vater fand's in Deutschland nicht so, wie er sich's gedacht. Die mächtigen Verwandten, auf die er gerechnet hatte, weil sie in der Jugend brü¬ derlich zusammen gelebt, waren seitdem alt und anders geworden, die meisten lange todt, ihre Kinder, die ihn nicht mehr kannten, sahen ihn verwundert und neugie¬
die ganze fremde Gegend tief verſchneit und flimmerte im hellen Mondſchein, als ſollt' ich ſterben vor Wehmuth.
Als ich mich von der Krankheit wieder erholte, ſtand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das Fenſter ſtand offen, die Baͤume draußen waren ſchon wieder gruͤn und die Voͤgel ſangen. Steh' nur auf, ſagte mein Vater, wir reiſen nach Deutſchland! — Er hatte ſein Vermoͤgen verloren, das Haus, unſer Garten ſollten verkauft werden, er mochte das nicht mit anſehen. So fuhren wir in einer ſchoͤnen Fruͤh¬ lingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauſchten auf den ſtillen Gaſſen, in unſerem Garten ſchlugen die Nachtigallen, als wuͤßten ſie's auch, und als die Pa¬ laͤſte und Kuppeln allmaͤhlich hinter uns im Mond¬ glanz verſanken, ſah ich meinen Vater zum erſtenmal weinen.
Wo iſt der Vater jetzt? unterbrach ſie Fortunat hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen ſchweigend vor ſich hin, er merkte, daß ſie ſelber weinte. Dann ſah ſie ſich ploͤtzlich wieder nach allen Seiten um, und fuhr gefaßter fort:
Mein armer Vater fand's in Deutſchland nicht ſo, wie er ſich's gedacht. Die maͤchtigen Verwandten, auf die er gerechnet hatte, weil ſie in der Jugend bruͤ¬ derlich zuſammen gelebt, waren ſeitdem alt und anders geworden, die meiſten lange todt, ihre Kinder, die ihn nicht mehr kannten, ſahen ihn verwundert und neugie¬
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die ganze fremde Gegend tief verſchneit und flimmerte
im hellen Mondſchein, als ſollt' ich ſterben vor Wehmuth.
Als ich mich von der Krankheit wieder erholte,
ſtand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das
Fenſter ſtand offen, die Baͤume draußen waren ſchon
wieder gruͤn und die Voͤgel ſangen. Steh' nur auf,
ſagte mein Vater, wir reiſen nach Deutſchland! —
Er hatte ſein Vermoͤgen verloren, das Haus, unſer
Garten ſollten verkauft werden, er mochte das nicht
mit anſehen. So fuhren wir in einer ſchoͤnen Fruͤh¬
lingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauſchten auf
den ſtillen Gaſſen, in unſerem Garten ſchlugen die
Nachtigallen, als wuͤßten ſie's auch, und als die Pa¬
laͤſte und Kuppeln allmaͤhlich hinter uns im Mond¬
glanz verſanken, ſah ich meinen Vater zum erſtenmal
weinen.
Wo iſt der Vater jetzt? unterbrach ſie Fortunat
hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen ſchweigend vor
ſich hin, er merkte, daß ſie ſelber weinte. Dann ſah
ſie ſich ploͤtzlich wieder nach allen Seiten um, und
fuhr gefaßter fort:
Mein armer Vater fand's in Deutſchland nicht
ſo, wie er ſich's gedacht. Die maͤchtigen Verwandten,
auf die er gerechnet hatte, weil ſie in der Jugend bruͤ¬
derlich zuſammen gelebt, waren ſeitdem alt und anders
geworden, die meiſten lange todt, ihre Kinder, die ihn
nicht mehr kannten, ſahen ihn verwundert und neugie¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/307>, abgerufen am 22.11.2024.
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