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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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Kupferstiche an den Wänden, der Boden neu mit Sand
bestreut, ein Glas mit frischen Blumen unter dem
Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn sehr gesprächig
und händigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugend¬
freund, der hier alles für ihn besorgt hatte, meldete
ihm, daß ihn leider unvorhergesehene Geschäfte über
Land geführt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zu¬
rück zu sein -- so befand sich denn Otto unerwartet
ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte sich,
nach der langen Gebirgs-Einsamkeit, gar nicht wieder
zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor,
der heitere Reisetag hallte noch in seiner Seele nach,
und als er das Fenster öffnete, dämmerte die unbe¬
kannte Gegend so seltsam über die Dächer herauf, es
war ihm, als hörte er noch immer das Posthorn fern
aus der Frühlingsnacht herübertönen. Er konnte nicht
widerstehen, er mußte noch einen Streifzug durch die
Stadt machen.

Unten erkundigte er sich nach der Berg-Vorstadt,
er hatte sich geschämt die Alte darnach zu fragen.
Man wies ihn nach einer entfernten Anhöhe, die mit
einzelnen Villen und weitläuftigen Gärten geheimni߬
voll in die Straße hereinsah. Das nächtliche Wan¬
dern in einer unbekannten großen Stadt hat etwas
Mährchenhaftes, die Häuser und Thürme stehn wie im
Traum im Mondschein, auf den Straßen schwärmt
es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der

Kupferſtiche an den Waͤnden, der Boden neu mit Sand
beſtreut, ein Glas mit friſchen Blumen unter dem
Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn ſehr geſpraͤchig
und haͤndigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugend¬
freund, der hier alles fuͤr ihn beſorgt hatte, meldete
ihm, daß ihn leider unvorhergeſehene Geſchaͤfte uͤber
Land gefuͤhrt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zu¬
ruͤck zu ſein — ſo befand ſich denn Otto unerwartet
ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte ſich,
nach der langen Gebirgs-Einſamkeit, gar nicht wieder
zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor,
der heitere Reiſetag hallte noch in ſeiner Seele nach,
und als er das Fenſter oͤffnete, daͤmmerte die unbe¬
kannte Gegend ſo ſeltſam uͤber die Daͤcher herauf, es
war ihm, als hoͤrte er noch immer das Poſthorn fern
aus der Fruͤhlingsnacht heruͤbertoͤnen. Er konnte nicht
widerſtehen, er mußte noch einen Streifzug durch die
Stadt machen.

Unten erkundigte er ſich nach der Berg-Vorſtadt,
er hatte ſich geſchaͤmt die Alte darnach zu fragen.
Man wies ihn nach einer entfernten Anhoͤhe, die mit
einzelnen Villen und weitlaͤuftigen Gaͤrten geheimni߬
voll in die Straße hereinſah. Das naͤchtliche Wan¬
dern in einer unbekannten großen Stadt hat etwas
Maͤhrchenhaftes, die Haͤuſer und Thuͤrme ſtehn wie im
Traum im Mondſchein, auf den Straßen ſchwaͤrmt
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[308/0315] Kupferſtiche an den Waͤnden, der Boden neu mit Sand beſtreut, ein Glas mit friſchen Blumen unter dem Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn ſehr geſpraͤchig und haͤndigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugend¬ freund, der hier alles fuͤr ihn beſorgt hatte, meldete ihm, daß ihn leider unvorhergeſehene Geſchaͤfte uͤber Land gefuͤhrt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zu¬ ruͤck zu ſein — ſo befand ſich denn Otto unerwartet ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte ſich, nach der langen Gebirgs-Einſamkeit, gar nicht wieder zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor, der heitere Reiſetag hallte noch in ſeiner Seele nach, und als er das Fenſter oͤffnete, daͤmmerte die unbe¬ kannte Gegend ſo ſeltſam uͤber die Daͤcher herauf, es war ihm, als hoͤrte er noch immer das Poſthorn fern aus der Fruͤhlingsnacht heruͤbertoͤnen. Er konnte nicht widerſtehen, er mußte noch einen Streifzug durch die Stadt machen. Unten erkundigte er ſich nach der Berg-Vorſtadt, er hatte ſich geſchaͤmt die Alte darnach zu fragen. Man wies ihn nach einer entfernten Anhoͤhe, die mit einzelnen Villen und weitlaͤuftigen Gaͤrten geheimni߬ voll in die Straße hereinſah. Das naͤchtliche Wan¬ dern in einer unbekannten großen Stadt hat etwas Maͤhrchenhaftes, die Haͤuſer und Thuͤrme ſtehn wie im Traum im Mondſchein, auf den Straßen ſchwaͤrmt es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/315>, abgerufen am 22.11.2024.