Brünnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten, sie hörten die Prozession aus weiter Ferne singen. Und eh' sich der Knabe noch besinnen konnte, sah er zu seinem Erstaunen auch das kleine Annchen schon mit¬ ten drin, sie winkte ihm fröhlich, er faßte sich endlich ein Herz und sprang ihr nach, so liefen sie beide voller Freuden in das Buch und die Landschaft hinein. -- Als Kasperl einmal zurücksah, war ihr Haus und die Gegend, wo es stand, schon hinter ihnen verschwun¬ den, von der Prozession hörten sie nur noch manchmal den Gesang herübertönen, die Sonne war lange unter, je weiter sie kamen, je einsamer und prächtiger wurde alles. Auf einmal, da sie eben durch einen Felsenbo¬ gen traten, erblickten sie ein himmelhohes Gebirge vor sich, daß es ihnen ordentlich den Athem verhielt. Auf dem höchsten Berge stand ein herrliches Schloß, das war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem Schloßthor aber saß eine wunderschöne Frau, die war über einer Harfe eingeschlummert. Aus ihren langen Locken und Gewändern kam ein prächtiger Mondschein und beleuchtete die Alpen und die wundersamen Klüfte, Wälder und Abgründe ringsumher. Unten, wo die Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, sahen sie kleine bucklichte Männchen in der Dämmerung lustig von den Felsenzacken Purzelbäume schießen, von fern klang das Glöcklein eines Einsiedlers, ein Jäger, der sich verirrt hatte, stand auf dem Felsen gegenüber, und
Bruͤnnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten, ſie hoͤrten die Prozeſſion aus weiter Ferne ſingen. Und eh' ſich der Knabe noch beſinnen konnte, ſah er zu ſeinem Erſtaunen auch das kleine Annchen ſchon mit¬ ten drin, ſie winkte ihm froͤhlich, er faßte ſich endlich ein Herz und ſprang ihr nach, ſo liefen ſie beide voller Freuden in das Buch und die Landſchaft hinein. — Als Kasperl einmal zuruͤckſah, war ihr Haus und die Gegend, wo es ſtand, ſchon hinter ihnen verſchwun¬ den, von der Prozeſſion hoͤrten ſie nur noch manchmal den Geſang heruͤbertoͤnen, die Sonne war lange unter, je weiter ſie kamen, je einſamer und praͤchtiger wurde alles. Auf einmal, da ſie eben durch einen Felſenbo¬ gen traten, erblickten ſie ein himmelhohes Gebirge vor ſich, daß es ihnen ordentlich den Athem verhielt. Auf dem hoͤchſten Berge ſtand ein herrliches Schloß, das war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem Schloßthor aber ſaß eine wunderſchoͤne Frau, die war uͤber einer Harfe eingeſchlummert. Aus ihren langen Locken und Gewaͤndern kam ein praͤchtiger Mondſchein und beleuchtete die Alpen und die wunderſamen Kluͤfte, Waͤlder und Abgruͤnde ringsumher. Unten, wo die Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, ſahen ſie kleine bucklichte Maͤnnchen in der Daͤmmerung luſtig von den Felſenzacken Purzelbaͤume ſchießen, von fern klang das Gloͤcklein eines Einſiedlers, ein Jaͤger, der ſich verirrt hatte, ſtand auf dem Felſen gegenuͤber, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0336"n="329"/>
Bruͤnnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten,<lb/>ſie hoͤrten die Prozeſſion aus weiter Ferne ſingen. Und<lb/>
eh' ſich der Knabe noch beſinnen konnte, ſah er zu<lb/>ſeinem Erſtaunen auch das kleine Annchen ſchon mit¬<lb/>
ten drin, ſie winkte ihm froͤhlich, er faßte ſich endlich<lb/>
ein Herz und ſprang ihr nach, ſo liefen ſie beide voller<lb/>
Freuden in das Buch und die Landſchaft hinein. —<lb/>
Als Kasperl einmal zuruͤckſah, war ihr Haus und die<lb/>
Gegend, wo es ſtand, ſchon hinter ihnen verſchwun¬<lb/>
den, von der Prozeſſion hoͤrten ſie nur noch manchmal<lb/>
den Geſang heruͤbertoͤnen, die Sonne war lange unter,<lb/>
je weiter ſie kamen, je einſamer und praͤchtiger wurde<lb/>
alles. Auf einmal, da ſie eben durch einen Felſenbo¬<lb/>
gen traten, erblickten ſie ein himmelhohes Gebirge vor<lb/>ſich, daß es ihnen ordentlich den Athem verhielt. Auf<lb/>
dem hoͤchſten Berge ſtand ein herrliches Schloß, das<lb/>
war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem<lb/>
Schloßthor aber ſaß eine wunderſchoͤne Frau, die war<lb/>
uͤber einer Harfe eingeſchlummert. Aus ihren langen<lb/>
Locken und Gewaͤndern kam ein praͤchtiger Mondſchein<lb/>
und beleuchtete die Alpen und die wunderſamen Kluͤfte,<lb/>
Waͤlder und Abgruͤnde ringsumher. Unten, wo die<lb/>
Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, ſahen ſie<lb/>
kleine bucklichte Maͤnnchen in der Daͤmmerung luſtig<lb/>
von den Felſenzacken Purzelbaͤume ſchießen, von fern<lb/>
klang das Gloͤcklein eines Einſiedlers, ein Jaͤger, der<lb/>ſich verirrt hatte, ſtand auf dem Felſen gegenuͤber, und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[329/0336]
Bruͤnnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten,
ſie hoͤrten die Prozeſſion aus weiter Ferne ſingen. Und
eh' ſich der Knabe noch beſinnen konnte, ſah er zu
ſeinem Erſtaunen auch das kleine Annchen ſchon mit¬
ten drin, ſie winkte ihm froͤhlich, er faßte ſich endlich
ein Herz und ſprang ihr nach, ſo liefen ſie beide voller
Freuden in das Buch und die Landſchaft hinein. —
Als Kasperl einmal zuruͤckſah, war ihr Haus und die
Gegend, wo es ſtand, ſchon hinter ihnen verſchwun¬
den, von der Prozeſſion hoͤrten ſie nur noch manchmal
den Geſang heruͤbertoͤnen, die Sonne war lange unter,
je weiter ſie kamen, je einſamer und praͤchtiger wurde
alles. Auf einmal, da ſie eben durch einen Felſenbo¬
gen traten, erblickten ſie ein himmelhohes Gebirge vor
ſich, daß es ihnen ordentlich den Athem verhielt. Auf
dem hoͤchſten Berge ſtand ein herrliches Schloß, das
war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem
Schloßthor aber ſaß eine wunderſchoͤne Frau, die war
uͤber einer Harfe eingeſchlummert. Aus ihren langen
Locken und Gewaͤndern kam ein praͤchtiger Mondſchein
und beleuchtete die Alpen und die wunderſamen Kluͤfte,
Waͤlder und Abgruͤnde ringsumher. Unten, wo die
Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, ſahen ſie
kleine bucklichte Maͤnnchen in der Daͤmmerung luſtig
von den Felſenzacken Purzelbaͤume ſchießen, von fern
klang das Gloͤcklein eines Einſiedlers, ein Jaͤger, der
ſich verirrt hatte, ſtand auf dem Felſen gegenuͤber, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/336>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.