Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

recht! Da war der Morgen schon angebrochen, der
Menschenfresser unter ihm war nichts anders, als der
alte graue Fels vor seines Vaters Haus, und wo er
das prächtige Schloß gesehen hatte und die wunderba¬
ren Klüfte im Mondschein, da lagen jetzt fahle, dicke
Wolken übereinander und dehnten sich noch halb im
Schlaf. Er sah die Schornsteine in seinem Dorfe
rauchen, der Nachbar trat gähnend in die Thür. Ki¬
keriki! rief er, Kasperl, du willst wohl den Tag aus¬
krähen, daß du dich da so früh auf den alten Stein-
Jürgen gestellt hast. --

Aber das arme Annerl? fiel Fiametta wieder ein.
-- Wart' nur, es wird gleich noch viel schöner kom¬
men, erwiederte Fortunat: Das schöne Annerl war
fort und kam nicht wieder, und Niemand wußte was
von ihr, denn sie war immer nur gegen Abend heim¬
lich aus dem Walde mit ihm spielen gekommen. Da
war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen, und
sehnte sich sehr und wurde darüber nach und nach groß
und stark. Einmal des Nachts aber, als der Mond¬
schein über die Wälder glänzte, da kam es ihm vor,
als säße die wunderschöne Frau draußen auf dem
Berg vor dem Hause und blätterte in dem alten Bil¬
derbuch, daß der Goldschnitt beim Umwenden zuweilen
seltsam über die Bäume am Fenster funkelte. Da
wurde er sehr unruhig, und als kaum noch der Mor¬
gen dämmerte, saß er schon ganz angezogen in seiner

recht! Da war der Morgen ſchon angebrochen, der
Menſchenfreſſer unter ihm war nichts anders, als der
alte graue Fels vor ſeines Vaters Haus, und wo er
das praͤchtige Schloß geſehen hatte und die wunderba¬
ren Kluͤfte im Mondſchein, da lagen jetzt fahle, dicke
Wolken uͤbereinander und dehnten ſich noch halb im
Schlaf. Er ſah die Schornſteine in ſeinem Dorfe
rauchen, der Nachbar trat gaͤhnend in die Thuͤr. Ki¬
keriki! rief er, Kasperl, du willſt wohl den Tag aus¬
kraͤhen, daß du dich da ſo fruͤh auf den alten Stein-
Juͤrgen geſtellt haſt. —

Aber das arme Annerl? fiel Fiametta wieder ein.
— Wart' nur, es wird gleich noch viel ſchoͤner kom¬
men, erwiederte Fortunat: Das ſchoͤne Annerl war
fort und kam nicht wieder, und Niemand wußte was
von ihr, denn ſie war immer nur gegen Abend heim¬
lich aus dem Walde mit ihm ſpielen gekommen. Da
war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen, und
ſehnte ſich ſehr und wurde daruͤber nach und nach groß
und ſtark. Einmal des Nachts aber, als der Mond¬
ſchein uͤber die Waͤlder glaͤnzte, da kam es ihm vor,
als ſaͤße die wunderſchoͤne Frau draußen auf dem
Berg vor dem Hauſe und blaͤtterte in dem alten Bil¬
derbuch, daß der Goldſchnitt beim Umwenden zuweilen
ſeltſam uͤber die Baͤume am Fenſter funkelte. Da
wurde er ſehr unruhig, und als kaum noch der Mor¬
gen daͤmmerte, ſaß er ſchon ganz angezogen in ſeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0339" n="332"/>
recht! Da war der Morgen &#x017F;chon angebrochen, der<lb/>
Men&#x017F;chenfre&#x017F;&#x017F;er unter ihm war nichts anders, als der<lb/>
alte graue Fels vor &#x017F;eines Vaters Haus, und wo er<lb/>
das pra&#x0364;chtige Schloß ge&#x017F;ehen hatte und die wunderba¬<lb/>
ren Klu&#x0364;fte im Mond&#x017F;chein, da lagen jetzt fahle, dicke<lb/>
Wolken u&#x0364;bereinander und dehnten &#x017F;ich noch halb im<lb/>
Schlaf. Er &#x017F;ah die Schorn&#x017F;teine in &#x017F;einem Dorfe<lb/>
rauchen, der Nachbar trat ga&#x0364;hnend in die Thu&#x0364;r. Ki¬<lb/>
keriki! rief er, Kasperl, du will&#x017F;t wohl den Tag aus¬<lb/>
kra&#x0364;hen, daß du dich da &#x017F;o fru&#x0364;h auf den alten Stein-<lb/>
Ju&#x0364;rgen ge&#x017F;tellt ha&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Aber das arme Annerl? fiel Fiametta wieder ein.<lb/>
&#x2014; Wart' nur, es wird gleich noch viel &#x017F;cho&#x0364;ner kom¬<lb/>
men, erwiederte Fortunat: Das &#x017F;cho&#x0364;ne Annerl war<lb/>
fort und kam nicht wieder, und Niemand wußte was<lb/>
von ihr, denn &#x017F;ie war immer nur gegen Abend heim¬<lb/>
lich aus dem Walde mit ihm &#x017F;pielen gekommen. Da<lb/>
war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen, und<lb/>
&#x017F;ehnte &#x017F;ich &#x017F;ehr und wurde daru&#x0364;ber nach und nach groß<lb/>
und &#x017F;tark. Einmal des Nachts aber, als der Mond¬<lb/>
&#x017F;chein u&#x0364;ber die Wa&#x0364;lder gla&#x0364;nzte, da kam es ihm vor,<lb/>
als &#x017F;a&#x0364;ße die wunder&#x017F;cho&#x0364;ne Frau draußen auf dem<lb/>
Berg vor dem Hau&#x017F;e und bla&#x0364;tterte in dem alten Bil¬<lb/>
derbuch, daß der Gold&#x017F;chnitt beim Umwenden zuweilen<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;am u&#x0364;ber die Ba&#x0364;ume am Fen&#x017F;ter funkelte. Da<lb/>
wurde er &#x017F;ehr unruhig, und als kaum noch der Mor¬<lb/>
gen da&#x0364;mmerte, &#x017F;aß er &#x017F;chon ganz angezogen in &#x017F;einer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0339] recht! Da war der Morgen ſchon angebrochen, der Menſchenfreſſer unter ihm war nichts anders, als der alte graue Fels vor ſeines Vaters Haus, und wo er das praͤchtige Schloß geſehen hatte und die wunderba¬ ren Kluͤfte im Mondſchein, da lagen jetzt fahle, dicke Wolken uͤbereinander und dehnten ſich noch halb im Schlaf. Er ſah die Schornſteine in ſeinem Dorfe rauchen, der Nachbar trat gaͤhnend in die Thuͤr. Ki¬ keriki! rief er, Kasperl, du willſt wohl den Tag aus¬ kraͤhen, daß du dich da ſo fruͤh auf den alten Stein- Juͤrgen geſtellt haſt. — Aber das arme Annerl? fiel Fiametta wieder ein. — Wart' nur, es wird gleich noch viel ſchoͤner kom¬ men, erwiederte Fortunat: Das ſchoͤne Annerl war fort und kam nicht wieder, und Niemand wußte was von ihr, denn ſie war immer nur gegen Abend heim¬ lich aus dem Walde mit ihm ſpielen gekommen. Da war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen, und ſehnte ſich ſehr und wurde daruͤber nach und nach groß und ſtark. Einmal des Nachts aber, als der Mond¬ ſchein uͤber die Waͤlder glaͤnzte, da kam es ihm vor, als ſaͤße die wunderſchoͤne Frau draußen auf dem Berg vor dem Hauſe und blaͤtterte in dem alten Bil¬ derbuch, daß der Goldſchnitt beim Umwenden zuweilen ſeltſam uͤber die Baͤume am Fenſter funkelte. Da wurde er ſehr unruhig, und als kaum noch der Mor¬ gen daͤmmerte, ſaß er ſchon ganz angezogen in ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/339
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/339>, abgerufen am 25.11.2024.