Die Myrthen trunken lauschen -- Mir aber gefällt doch nichts so sehr, Als das deutsche Waldesrauschen!
Als Walter von Italien hörte, zweifelte er nicht länger. Eilig in hohen Schmierstiefeln, die er gegen den beißenden Thau zu gebrauchen pflegte, kam er athemlos aus dem Hause gestürzt. Mein Gott! du, Herzensbruder! rief er schon von weitem und flog, außer sich vor Freude, in Fortunats Arme und stach ihn tüchtig mit seinem schlecht rasirten Bart. Fortu¬ nat war im ersten Augenblick ganz verblüfft, denn Walter kam ihm so verbauert vor, altmodisch, beim Reden schreiend und gebräunt im Gesicht; aber die treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man sah bis in den Grund der Seele, er war doch durch und durch noch der alte. Jetzt fiel plötzlich ein Schuß hinter ihnen, daß alle zusammenfuhren. Auf der An¬ höhe wurde der tolle Förster sichtbar, der von dem Besuche schon Wind bekommen. Er drehte den dün¬ nen, flechsenreichen Hals weit aus der schmalen, engen Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht er¬ kannt hatte, feuerte er aus seiner Doppelbüchse ge¬ schwind noch einmal über ihre Köpfe weg und stürzte mit großem Vivatgeschrei zu ihnen herab. Dann er¬ wischte er unversehens Fiametta, die gar nicht wußte, wie ihr geschah, und walzte wüthend mit ihr unter den Bäumen herum, seine langen Rockschöße, die weit
22*
Da ſingt eine Fey auf blauem Meer,
Die Myrthen trunken lauſchen — Mir aber gefaͤllt doch nichts ſo ſehr, Als das deutſche Waldesrauſchen!
Als Walter von Italien hoͤrte, zweifelte er nicht laͤnger. Eilig in hohen Schmierſtiefeln, die er gegen den beißenden Thau zu gebrauchen pflegte, kam er athemlos aus dem Hauſe geſtuͤrzt. Mein Gott! du, Herzensbruder! rief er ſchon von weitem und flog, außer ſich vor Freude, in Fortunats Arme und ſtach ihn tuͤchtig mit ſeinem ſchlecht raſirten Bart. Fortu¬ nat war im erſten Augenblick ganz verbluͤfft, denn Walter kam ihm ſo verbauert vor, altmodiſch, beim Reden ſchreiend und gebraͤunt im Geſicht; aber die treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man ſah bis in den Grund der Seele, er war doch durch und durch noch der alte. Jetzt fiel ploͤtzlich ein Schuß hinter ihnen, daß alle zuſammenfuhren. Auf der An¬ hoͤhe wurde der tolle Foͤrſter ſichtbar, der von dem Beſuche ſchon Wind bekommen. Er drehte den duͤn¬ nen, flechſenreichen Hals weit aus der ſchmalen, engen Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht er¬ kannt hatte, feuerte er aus ſeiner Doppelbuͤchſe ge¬ ſchwind noch einmal uͤber ihre Koͤpfe weg und ſtuͤrzte mit großem Vivatgeſchrei zu ihnen herab. Dann er¬ wiſchte er unverſehens Fiametta, die gar nicht wußte, wie ihr geſchah, und walzte wuͤthend mit ihr unter den Baͤumen herum, ſeine langen Rockſchoͤße, die weit
22*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0346"n="339"/><lgn="2"><lrendition="#et">Da ſingt eine Fey auf blauem Meer,</l><lb/><l>Die Myrthen trunken lauſchen —</l><lb/><l>Mir aber gefaͤllt doch nichts ſo ſehr,</l><lb/><l>Als das deutſche Waldesrauſchen!</l><lb/></lg></lg><p>Als Walter von Italien hoͤrte, zweifelte er nicht<lb/>
laͤnger. Eilig in hohen Schmierſtiefeln, die er gegen<lb/>
den beißenden Thau zu gebrauchen pflegte, kam er<lb/>
athemlos aus dem Hauſe geſtuͤrzt. Mein Gott! du,<lb/>
Herzensbruder! rief er ſchon von weitem und flog,<lb/>
außer ſich vor Freude, in Fortunats Arme und ſtach<lb/>
ihn tuͤchtig mit ſeinem ſchlecht raſirten Bart. Fortu¬<lb/>
nat war im erſten Augenblick ganz verbluͤfft, denn<lb/>
Walter kam ihm ſo verbauert vor, altmodiſch, beim<lb/>
Reden ſchreiend und gebraͤunt im Geſicht; aber die<lb/>
treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man<lb/>ſah bis in den Grund der Seele, er war doch durch<lb/>
und durch noch der alte. Jetzt fiel ploͤtzlich ein Schuß<lb/>
hinter ihnen, daß alle zuſammenfuhren. Auf der An¬<lb/>
hoͤhe wurde der tolle Foͤrſter ſichtbar, der von dem<lb/>
Beſuche ſchon Wind bekommen. Er drehte den duͤn¬<lb/>
nen, flechſenreichen Hals weit aus der ſchmalen, engen<lb/>
Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht er¬<lb/>
kannt hatte, feuerte er aus ſeiner Doppelbuͤchſe ge¬<lb/>ſchwind noch einmal uͤber ihre Koͤpfe weg und ſtuͤrzte<lb/>
mit großem Vivatgeſchrei zu ihnen herab. Dann er¬<lb/>
wiſchte er unverſehens Fiametta, die gar nicht wußte,<lb/>
wie ihr geſchah, und walzte wuͤthend mit ihr unter<lb/>
den Baͤumen herum, ſeine langen Rockſchoͤße, die weit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">22*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[339/0346]
Da ſingt eine Fey auf blauem Meer,
Die Myrthen trunken lauſchen —
Mir aber gefaͤllt doch nichts ſo ſehr,
Als das deutſche Waldesrauſchen!
Als Walter von Italien hoͤrte, zweifelte er nicht
laͤnger. Eilig in hohen Schmierſtiefeln, die er gegen
den beißenden Thau zu gebrauchen pflegte, kam er
athemlos aus dem Hauſe geſtuͤrzt. Mein Gott! du,
Herzensbruder! rief er ſchon von weitem und flog,
außer ſich vor Freude, in Fortunats Arme und ſtach
ihn tuͤchtig mit ſeinem ſchlecht raſirten Bart. Fortu¬
nat war im erſten Augenblick ganz verbluͤfft, denn
Walter kam ihm ſo verbauert vor, altmodiſch, beim
Reden ſchreiend und gebraͤunt im Geſicht; aber die
treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man
ſah bis in den Grund der Seele, er war doch durch
und durch noch der alte. Jetzt fiel ploͤtzlich ein Schuß
hinter ihnen, daß alle zuſammenfuhren. Auf der An¬
hoͤhe wurde der tolle Foͤrſter ſichtbar, der von dem
Beſuche ſchon Wind bekommen. Er drehte den duͤn¬
nen, flechſenreichen Hals weit aus der ſchmalen, engen
Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht er¬
kannt hatte, feuerte er aus ſeiner Doppelbuͤchſe ge¬
ſchwind noch einmal uͤber ihre Koͤpfe weg und ſtuͤrzte
mit großem Vivatgeſchrei zu ihnen herab. Dann er¬
wiſchte er unverſehens Fiametta, die gar nicht wußte,
wie ihr geſchah, und walzte wuͤthend mit ihr unter
den Baͤumen herum, ſeine langen Rockſchoͤße, die weit
22*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/346>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.