ging, er hatte schon lange nicht so fromm in Gedan¬ ken gebetet.
Jetzt fiel ihm erst ein, daß der Glockenklang wohl die räthselhaften Nachtwandler herbeigelockt haben könnte. Er trat hinaus, und spähte nach allen Sei¬ ten umher. Aber es rührte sich nichts, der Wind hatte die Klänge nach den Thälern geweht, die noch im tiefen Schatten lagen. Auf dem Gipfel des Ber¬ ges aber, an dessen Lehne die Klause sich befand, be¬ merkte er jetzt im falben Zwielicht die Mauer¬ trümmer wieder, die er gestern aus dem Thale gese¬ hen. Dort zogen sie hinauf, dachte er, und schwang sich eilig auf sein Pferd. Bald hatte er nun auch den verschlungenen Pfad und das Felsenthor entdeckt, das von der andern Seite nach der Höhe führte, und ver¬ folgte unterdessen die Spur, um droben, wo möglich, nähere Auskunft über die Vorgänge der Nacht und die einzuschlagende Reiserichtung zu erhalten.
So ritt er wohlgemuth in den wachsenden Mor¬ gen hinein, auf dem Berge vor ihm trat allmählich das alte Gemäuer immer deutlicher zwischen den Tan¬ nen hervor. Schon unterschied er eine halbverfallene Kirche, leere Fensterbogen und einzelnstehende Pfeiler, von Epheu üppig umrankt, Ziegen kletterten in der grünen Wildniß, alles von der Morgensonne wunder¬ bar beleuchtet. Da erschien auf einmal ein hoher, schlanker Jäger auf der Wand, der Morgen funkelte
ging, er hatte ſchon lange nicht ſo fromm in Gedan¬ ken gebetet.
Jetzt fiel ihm erſt ein, daß der Glockenklang wohl die raͤthſelhaften Nachtwandler herbeigelockt haben koͤnnte. Er trat hinaus, und ſpaͤhte nach allen Sei¬ ten umher. Aber es ruͤhrte ſich nichts, der Wind hatte die Klaͤnge nach den Thaͤlern geweht, die noch im tiefen Schatten lagen. Auf dem Gipfel des Ber¬ ges aber, an deſſen Lehne die Klauſe ſich befand, be¬ merkte er jetzt im falben Zwielicht die Mauer¬ truͤmmer wieder, die er geſtern aus dem Thale geſe¬ hen. Dort zogen ſie hinauf, dachte er, und ſchwang ſich eilig auf ſein Pferd. Bald hatte er nun auch den verſchlungenen Pfad und das Felſenthor entdeckt, das von der andern Seite nach der Hoͤhe fuͤhrte, und ver¬ folgte unterdeſſen die Spur, um droben, wo moͤglich, naͤhere Auskunft uͤber die Vorgaͤnge der Nacht und die einzuſchlagende Reiſerichtung zu erhalten.
So ritt er wohlgemuth in den wachſenden Mor¬ gen hinein, auf dem Berge vor ihm trat allmaͤhlich das alte Gemaͤuer immer deutlicher zwiſchen den Tan¬ nen hervor. Schon unterſchied er eine halbverfallene Kirche, leere Fenſterbogen und einzelnſtehende Pfeiler, von Epheu uͤppig umrankt, Ziegen kletterten in der gruͤnen Wildniß, alles von der Morgenſonne wunder¬ bar beleuchtet. Da erſchien auf einmal ein hoher, ſchlanker Jaͤger auf der Wand, der Morgen funkelte
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ging, er hatte ſchon lange nicht ſo fromm in Gedan¬
ken gebetet.
Jetzt fiel ihm erſt ein, daß der Glockenklang wohl
die raͤthſelhaften Nachtwandler herbeigelockt haben
koͤnnte. Er trat hinaus, und ſpaͤhte nach allen Sei¬
ten umher. Aber es ruͤhrte ſich nichts, der Wind
hatte die Klaͤnge nach den Thaͤlern geweht, die noch
im tiefen Schatten lagen. Auf dem Gipfel des Ber¬
ges aber, an deſſen Lehne die Klauſe ſich befand, be¬
merkte er jetzt im falben Zwielicht die Mauer¬
truͤmmer wieder, die er geſtern aus dem Thale geſe¬
hen. Dort zogen ſie hinauf, dachte er, und ſchwang
ſich eilig auf ſein Pferd. Bald hatte er nun auch den
verſchlungenen Pfad und das Felſenthor entdeckt, das
von der andern Seite nach der Hoͤhe fuͤhrte, und ver¬
folgte unterdeſſen die Spur, um droben, wo moͤglich,
naͤhere Auskunft uͤber die Vorgaͤnge der Nacht und
die einzuſchlagende Reiſerichtung zu erhalten.
So ritt er wohlgemuth in den wachſenden Mor¬
gen hinein, auf dem Berge vor ihm trat allmaͤhlich
das alte Gemaͤuer immer deutlicher zwiſchen den Tan¬
nen hervor. Schon unterſchied er eine halbverfallene
Kirche, leere Fenſterbogen und einzelnſtehende Pfeiler,
von Epheu uͤppig umrankt, Ziegen kletterten in der
gruͤnen Wildniß, alles von der Morgenſonne wunder¬
bar beleuchtet. Da erſchien auf einmal ein hoher,
ſchlanker Jaͤger auf der Wand, der Morgen funkelte
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/368>, abgerufen am 24.11.2024.
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