Aber wie es oft in ängstlichen Träumen geht, sie verfehlte in der Hast die rechte Pforte; aus einem Zwinger in den andern rennend, glaubte sie sprechen zu hören, die Stimmen kamen immer näher, sie konnte den Ausgang nicht finden. Auf einmal standen zwei fremde Männer vor ihr in abgetragenen Ritterwäm¬ sern, Pickelhauben auf den Köpfen. Der eine wollte sie am Körbchen festhalten, in der Todesangst ließ sie ihm fliehend die Beeren, und hörte sein schallendes Lachen hinter sich.
Wie athmete sie tief auf, als sie endlich Gottes freien Himmel wiedersah! Der erste, der ihr begeg¬ nete, war Fortunat. Athemlos, mit heftig klopfendem Herzen flog sie an seine Brust, er drückte das schöne Kind fester an sich, und fühlte einen flüchtigen, bren¬ nenden Kuß auf seinen Lippen. -- In demselben Augen¬ blick aber war auch Walter, der sie zu suchen schien, neben ihnen aus dem Gebüsch hervorgetreten. Floren¬ tine besann sich schnell wieder, strich die Locken aus der heißen Stirn und reichte ihm die Hand hin, um ihr über die letzten Trümmer herabzuhelfen.
Nun erzählte sie in lebhafter Aufregung, und oft noch scheu zurückblickend, ihr wundersames Abenteuer. Walter war still und schien nur halb hinzuhören. For¬ tunat wollte sogleich in die Burg zurück, um die bleiche Frau zu sehen, aber Florentine gab es durchaus nicht zu. Während sie aber noch so stritten, stutzte sie plötz¬
Aber wie es oft in aͤngſtlichen Traͤumen geht, ſie verfehlte in der Haſt die rechte Pforte; aus einem Zwinger in den andern rennend, glaubte ſie ſprechen zu hoͤren, die Stimmen kamen immer naͤher, ſie konnte den Ausgang nicht finden. Auf einmal ſtanden zwei fremde Maͤnner vor ihr in abgetragenen Ritterwaͤm¬ ſern, Pickelhauben auf den Koͤpfen. Der eine wollte ſie am Koͤrbchen feſthalten, in der Todesangſt ließ ſie ihm fliehend die Beeren, und hoͤrte ſein ſchallendes Lachen hinter ſich.
Wie athmete ſie tief auf, als ſie endlich Gottes freien Himmel wiederſah! Der erſte, der ihr begeg¬ nete, war Fortunat. Athemlos, mit heftig klopfendem Herzen flog ſie an ſeine Bruſt, er druͤckte das ſchoͤne Kind feſter an ſich, und fuͤhlte einen fluͤchtigen, bren¬ nenden Kuß auf ſeinen Lippen. — In demſelben Augen¬ blick aber war auch Walter, der ſie zu ſuchen ſchien, neben ihnen aus dem Gebuͤſch hervorgetreten. Floren¬ tine beſann ſich ſchnell wieder, ſtrich die Locken aus der heißen Stirn und reichte ihm die Hand hin, um ihr uͤber die letzten Truͤmmer herabzuhelfen.
Nun erzaͤhlte ſie in lebhafter Aufregung, und oft noch ſcheu zuruͤckblickend, ihr wunderſames Abenteuer. Walter war ſtill und ſchien nur halb hinzuhoͤren. For¬ tunat wollte ſogleich in die Burg zuruͤck, um die bleiche Frau zu ſehen, aber Florentine gab es durchaus nicht zu. Waͤhrend ſie aber noch ſo ſtritten, ſtutzte ſie ploͤtz¬
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Aber wie es oft in aͤngſtlichen Traͤumen geht, ſie
verfehlte in der Haſt die rechte Pforte; aus einem
Zwinger in den andern rennend, glaubte ſie ſprechen
zu hoͤren, die Stimmen kamen immer naͤher, ſie konnte
den Ausgang nicht finden. Auf einmal ſtanden zwei
fremde Maͤnner vor ihr in abgetragenen Ritterwaͤm¬
ſern, Pickelhauben auf den Koͤpfen. Der eine wollte
ſie am Koͤrbchen feſthalten, in der Todesangſt ließ ſie
ihm fliehend die Beeren, und hoͤrte ſein ſchallendes
Lachen hinter ſich.
Wie athmete ſie tief auf, als ſie endlich Gottes
freien Himmel wiederſah! Der erſte, der ihr begeg¬
nete, war Fortunat. Athemlos, mit heftig klopfendem
Herzen flog ſie an ſeine Bruſt, er druͤckte das ſchoͤne
Kind feſter an ſich, und fuͤhlte einen fluͤchtigen, bren¬
nenden Kuß auf ſeinen Lippen. — In demſelben Augen¬
blick aber war auch Walter, der ſie zu ſuchen ſchien,
neben ihnen aus dem Gebuͤſch hervorgetreten. Floren¬
tine beſann ſich ſchnell wieder, ſtrich die Locken aus
der heißen Stirn und reichte ihm die Hand hin, um
ihr uͤber die letzten Truͤmmer herabzuhelfen.
Nun erzaͤhlte ſie in lebhafter Aufregung, und oft
noch ſcheu zuruͤckblickend, ihr wunderſames Abenteuer.
Walter war ſtill und ſchien nur halb hinzuhoͤren. For¬
tunat wollte ſogleich in die Burg zuruͤck, um die bleiche
Frau zu ſehen, aber Florentine gab es durchaus nicht
zu. Waͤhrend ſie aber noch ſo ſtritten, ſtutzte ſie ploͤtz¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/60>, abgerufen am 22.11.2024.
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