Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Wie Wald und Strom im Rauschen Verlockend Worte tauschen! Was ist's, daß ich ergrause? -- Führt doch aus stillem Hause Der Hirt die gold'ne Heerde, Und hütet treu und wacht, So lieblich weht die Nacht, Lind säuselt kaum die Erde. II. Und zu den Felsengängen Der nächt'ge Sänger flieht, Denn wie mit Wahnsinns Klängen Treibt ihn sein eig'nes Lied. Bei leuchtenden Gewittern Schreckt ihn das stille Land, Ein wunderbar Erschüttern Hat ihm das Herz gewandt. Bereuend sinkt sein Auge -- Da blickt durch Nacht und Schmerz Ein unsichtbares Auge Ihm klar in's tiefste Herz. Sein Saitenspiel zur Stunde Wirft er in tiefsten Schlund Und weint aus Herzensgrunde, Und ewig schweigt sein Mund. Wie Wald und Strom im Rauſchen Verlockend Worte tauſchen! Was iſt's, daß ich ergrauſe? — Fuͤhrt doch aus ſtillem Hauſe Der Hirt die gold'ne Heerde, Und huͤtet treu und wacht, So lieblich weht die Nacht, Lind ſaͤuſelt kaum die Erde. II. Und zu den Felſengaͤngen Der naͤcht'ge Saͤnger flieht, Denn wie mit Wahnſinns Klaͤngen Treibt ihn ſein eig'nes Lied. Bei leuchtenden Gewittern Schreckt ihn das ſtille Land, Ein wunderbar Erſchuͤttern Hat ihm das Herz gewandt. Bereuend ſinkt ſein Auge — Da blickt durch Nacht und Schmerz Ein unſichtbares Auge Ihm klar in's tiefſte Herz. Sein Saitenſpiel zur Stunde Wirft er in tiefſten Schlund Und weint aus Herzensgrunde, Und ewig ſchweigt ſein Mund. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg> <pb facs="#f0400" n="382"/> <lg type="poem"> <l>Wie Wald und Strom im Rauſchen</l><lb/> <l>Verlockend Worte tauſchen!</l><lb/> <l>Was iſt's, daß ich ergrauſe? —</l><lb/> <l>Fuͤhrt doch aus ſtillem Hauſe</l><lb/> <l>Der Hirt die gold'ne Heerde,</l><lb/> <l>Und huͤtet treu und wacht,</l><lb/> <l>So lieblich weht die Nacht,</l><lb/> <l>Lind ſaͤuſelt kaum die Erde.</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">II</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Und zu den Felſengaͤngen</l><lb/> <l>Der naͤcht'ge Saͤnger flieht,</l><lb/> <l>Denn wie mit Wahnſinns Klaͤngen</l><lb/> <l>Treibt ihn ſein eig'nes Lied.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Bei leuchtenden Gewittern</l><lb/> <l>Schreckt ihn das ſtille Land,</l><lb/> <l>Ein wunderbar Erſchuͤttern</l><lb/> <l>Hat ihm das Herz gewandt.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Bereuend ſinkt ſein Auge —</l><lb/> <l>Da blickt durch Nacht und Schmerz</l><lb/> <l>Ein unſichtbares Auge</l><lb/> <l>Ihm klar in's tiefſte Herz.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Sein Saitenſpiel zur Stunde</l><lb/> <l>Wirft er in tiefſten Schlund</l><lb/> <l>Und weint aus Herzensgrunde,</l><lb/> <l>Und ewig ſchweigt ſein Mund.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [382/0400]
Wie Wald und Strom im Rauſchen
Verlockend Worte tauſchen!
Was iſt's, daß ich ergrauſe? —
Fuͤhrt doch aus ſtillem Hauſe
Der Hirt die gold'ne Heerde,
Und huͤtet treu und wacht,
So lieblich weht die Nacht,
Lind ſaͤuſelt kaum die Erde.
II.
Und zu den Felſengaͤngen
Der naͤcht'ge Saͤnger flieht,
Denn wie mit Wahnſinns Klaͤngen
Treibt ihn ſein eig'nes Lied.
Bei leuchtenden Gewittern
Schreckt ihn das ſtille Land,
Ein wunderbar Erſchuͤttern
Hat ihm das Herz gewandt.
Bereuend ſinkt ſein Auge —
Da blickt durch Nacht und Schmerz
Ein unſichtbares Auge
Ihm klar in's tiefſte Herz.
Sein Saitenſpiel zur Stunde
Wirft er in tiefſten Schlund
Und weint aus Herzensgrunde,
Und ewig ſchweigt ſein Mund.
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