Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirch¬ Als ich die Augen aufschlug, stand der Wagen still Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬ Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0016" n="6"/> <p>Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬<lb/> thuͤrme unter, vor mir neue Doͤrfer, Schloͤſſer und<lb/> Berge auf; unter mir Saaten, Buͤſche und Wieſen<lb/> bunt voruͤberfliegend, uͤber mir unzaͤhlige Lerchen in<lb/> der klaren blauen Luft — ich ſchaͤmte mich laut zu<lb/> ſchreien, aber innerlichſt jauchzte ich und ſtrampelte<lb/> und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald<lb/> meine Geige verloren haͤtte, die ich unterm Arme hielt.<lb/> Wie aber denn die Sonne immer hoͤher ſtieg, rings<lb/> am Horizont ſchwere weiße Mittagswolken aufſtiegen,<lb/> und alles in der Luft und auf der weiten Flaͤche ſo<lb/> leer und ſchwuͤl und ſtill wurde uͤber den leiſe wogen¬<lb/> den Kornfeldern, da fiel mir erſt wieder mein Dorf<lb/> ein und mein Vater und unſere Muͤhle, wie es da ſo<lb/> heimlich kuͤhl war an dem ſchattigen Weiher, und daß<lb/> nun alles ſo weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬<lb/> bei ſo kurios zu Muthe, als muͤßt' ich wieder umkeh¬<lb/> ren; ich ſteckte meine Geige zwiſchen Rock und Weſte,<lb/> ſetzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin<lb/> und ſchlief ein.</p><lb/> <p>Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill<lb/> unter hohen Lindenbaͤumen, hinter denen eine breite<lb/> Treppe zwiſchen Saͤulen in ein praͤchtiges Schloß<lb/> fuͤhrte. Seitwaͤrts durch die Baͤume ſah ich die Thuͤr¬<lb/> me von W. Die Damen waren, wie es ſchien, laͤngſt<lb/> ausgeſtiegen, die Pferde abgeſpannt. Ich erſchrack ſehr,<lb/> da ich auf einmal ſo allein ſaß, und ſprang geſchwind<lb/> in das Schloß hinein, da hoͤrte ich von oben aus dem<lb/> Fenſter lachen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0016]
Hinter mir gingen nun Dorf, Gaͤrten und Kirch¬
thuͤrme unter, vor mir neue Doͤrfer, Schloͤſſer und
Berge auf; unter mir Saaten, Buͤſche und Wieſen
bunt voruͤberfliegend, uͤber mir unzaͤhlige Lerchen in
der klaren blauen Luft — ich ſchaͤmte mich laut zu
ſchreien, aber innerlichſt jauchzte ich und ſtrampelte
und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald
meine Geige verloren haͤtte, die ich unterm Arme hielt.
Wie aber denn die Sonne immer hoͤher ſtieg, rings
am Horizont ſchwere weiße Mittagswolken aufſtiegen,
und alles in der Luft und auf der weiten Flaͤche ſo
leer und ſchwuͤl und ſtill wurde uͤber den leiſe wogen¬
den Kornfeldern, da fiel mir erſt wieder mein Dorf
ein und mein Vater und unſere Muͤhle, wie es da ſo
heimlich kuͤhl war an dem ſchattigen Weiher, und daß
nun alles ſo weit, weit hinter mir lag. Mir war da¬
bei ſo kurios zu Muthe, als muͤßt' ich wieder umkeh¬
ren; ich ſteckte meine Geige zwiſchen Rock und Weſte,
ſetzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin
und ſchlief ein.
Als ich die Augen aufſchlug, ſtand der Wagen ſtill
unter hohen Lindenbaͤumen, hinter denen eine breite
Treppe zwiſchen Saͤulen in ein praͤchtiges Schloß
fuͤhrte. Seitwaͤrts durch die Baͤume ſah ich die Thuͤr¬
me von W. Die Damen waren, wie es ſchien, laͤngſt
ausgeſtiegen, die Pferde abgeſpannt. Ich erſchrack ſehr,
da ich auf einmal ſo allein ſaß, und ſprang geſchwind
in das Schloß hinein, da hoͤrte ich von oben aus dem
Fenſter lachen.
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