Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.Hieroglyphe im zauberischen Mondschein. Er schloß Bianka aber saß noch lange auf der Terrasse oben. Mehrere Tage waren seitdem vergangen, da be¬ M 2
Hieroglyphe im zauberiſchen Mondſchein. Er ſchloß Bianka aber ſaß noch lange auf der Terraſſe oben. Mehrere Tage waren ſeitdem vergangen, da be¬ M 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0189" n="179"/> Hieroglyphe im zauberiſchen Mondſchein. Er ſchloß<lb/> das Fenſter faſt erſchrocken und warf ſich auf ſein Ru¬<lb/> hebett hin, wo er als wie ein Fieberkranker in die wun¬<lb/> derlichſten Traͤume verſank.</p><lb/> <p>Bianka aber ſaß noch lange auf der Terraſſe oben.<lb/> Alle andern hatten ſich zur Ruhe begeben, hin und<lb/> wieder erwachte ſchon manche Lerche, mit ungewiſſem<lb/> Liede hoch durch die ſtille Luft ſchweifend; die Wipfel<lb/> der Baͤume fingen an ſich unten zu ruͤhren, falbe Mor¬<lb/> genlichter flogen wechſelnd uͤber ihr vermachtes, von<lb/> den freigelaſſenen Locken nachlaͤßig umwalltes Geſicht. —<lb/> Man ſagt, daß einem Maͤdchen, wenn ſie in einem, aus<lb/> neunerlei Blumen geflochtenen Kranze einſchlaͤft, ihr<lb/> kuͤnftiger Braͤutigam im Traume erſcheine. So ein¬<lb/> geſchlummert hatte Bianka nach jenem Abend bei den<lb/> Zelten Florio'n im Traume geſehen. — Nun war alles<lb/> Luͤge, er war ja ſo zerſtreut, ſo kalt und fremde! —<lb/> Sie zerfluͤckte die truͤgeriſchen Blumen, die ſie bis jetzt<lb/> wie einen Brautkranz aufbewahrt. Dann lehnte ſie die<lb/> Stirn an das kalte Gelaͤnder und weinte aus Herzens¬<lb/> grunde.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Mehrere Tage waren ſeitdem vergangen, da be¬<lb/> fand ſich Florio eines Nachmittags bei Donati auf ſei¬<lb/> nem Landhauſe vor der Stadt. An einem mit Fruͤch¬<lb/> ten und kuͤhlem Wein beſetzten Tiſche verbrachten ſie<lb/> die ſchwuͤlen Stunden unter anmuthigen Geſpraͤchen,<lb/> bis die Sonne ſchon tief hinabgeſunken war. Waͤh¬<lb/> renddeß ließ Donati ſeinen Diener auf der Guitarre<lb/> <fw place="bottom" type="sig">M 2<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [179/0189]
Hieroglyphe im zauberiſchen Mondſchein. Er ſchloß
das Fenſter faſt erſchrocken und warf ſich auf ſein Ru¬
hebett hin, wo er als wie ein Fieberkranker in die wun¬
derlichſten Traͤume verſank.
Bianka aber ſaß noch lange auf der Terraſſe oben.
Alle andern hatten ſich zur Ruhe begeben, hin und
wieder erwachte ſchon manche Lerche, mit ungewiſſem
Liede hoch durch die ſtille Luft ſchweifend; die Wipfel
der Baͤume fingen an ſich unten zu ruͤhren, falbe Mor¬
genlichter flogen wechſelnd uͤber ihr vermachtes, von
den freigelaſſenen Locken nachlaͤßig umwalltes Geſicht. —
Man ſagt, daß einem Maͤdchen, wenn ſie in einem, aus
neunerlei Blumen geflochtenen Kranze einſchlaͤft, ihr
kuͤnftiger Braͤutigam im Traume erſcheine. So ein¬
geſchlummert hatte Bianka nach jenem Abend bei den
Zelten Florio'n im Traume geſehen. — Nun war alles
Luͤge, er war ja ſo zerſtreut, ſo kalt und fremde! —
Sie zerfluͤckte die truͤgeriſchen Blumen, die ſie bis jetzt
wie einen Brautkranz aufbewahrt. Dann lehnte ſie die
Stirn an das kalte Gelaͤnder und weinte aus Herzens¬
grunde.
Mehrere Tage waren ſeitdem vergangen, da be¬
fand ſich Florio eines Nachmittags bei Donati auf ſei¬
nem Landhauſe vor der Stadt. An einem mit Fruͤch¬
ten und kuͤhlem Wein beſetzten Tiſche verbrachten ſie
die ſchwuͤlen Stunden unter anmuthigen Geſpraͤchen,
bis die Sonne ſchon tief hinabgeſunken war. Waͤh¬
renddeß ließ Donati ſeinen Diener auf der Guitarre
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