Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.An die Entfernte. Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten, An jenes letzten Abends rothe Kühle, Wo ich die theu're Hand noch durfte halten: Steh' ich oft sinnend stille im Gewühle, Und, wie den Schweitzer heim'sche Alphornslieder Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen, Oft unverhofft befallen, Kommt tiefe Sehnsucht plötzlich auf mich nieder. Ich hab' es oft in Deiner Brust gelesen: Nie hast Du recht mich in mir selbst gefunden, Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Wesen, Und so bin ich im Strome Dir verschwunden. O nenn' drum nicht die schöne Jugendwilde, Die mit dem Leben und mit seinen Schmerzen Mag unbekümmert scherzen, Weil sie die Brust reich fühlt und ernst und milde! Getrennt ist längst schon uns'res Lebens Reise, Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden. Dem festern Blick erweitern sich die Kreise, In Duft ist jenes erste Reich verschwunden -- Doch, wie die Pfade einsam sich verwildern, Was ich seitdem, von Lust und Leid bezwungen, Geliebt, geirrt, gesungen: Ich knie' vor Dir in all' den tausend Bildern. An die Entfernte. Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten, An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle, Wo ich die theu're Hand noch durfte halten: Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle, Und, wie den Schweitzer heim'ſche Alphornslieder Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen, Oft unverhofft befallen, Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder. Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen: Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden, Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen, Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden. O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugendwilde, Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen Mag unbekuͤmmert ſcherzen, Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde! Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe, Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden. Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe, In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden — Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern, Was ich ſeitdem, von Luſt und Leid bezwungen, Geliebt, geirrt, geſungen: Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="3"> <pb facs="#f0244" n="234"/> </div> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">An die Entfernte</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>enk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,</l><lb/> <l>An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle,</l><lb/> <l>Wo ich die theu're Hand noch durfte halten:</l><lb/> <l>Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle,</l><lb/> <l>Und, wie den Schweitzer heim'ſche Alphornslieder</l><lb/> <l>Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,</l><lb/> <l>Oft unverhofft befallen,</l><lb/> <l>Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen:</l><lb/> <l>Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden,</l><lb/> <l>Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen,</l><lb/> <l>Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden.</l><lb/> <l>O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugendwilde,</l><lb/> <l>Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen</l><lb/> <l>Mag unbekuͤmmert ſcherzen,</l><lb/> <l>Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe,</l><lb/> <l>Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.</l><lb/> <l>Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe,</l><lb/> <l>In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden —</l><lb/> <l>Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern,</l><lb/> <l>Was ich ſeitdem, von Luſt und Leid bezwungen,</l><lb/> <l>Geliebt, geirrt, geſungen:</l><lb/> <l>Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0244]
An die Entfernte.
Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,
An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle,
Wo ich die theu're Hand noch durfte halten:
Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle,
Und, wie den Schweitzer heim'ſche Alphornslieder
Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,
Oft unverhofft befallen,
Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.
Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen:
Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden,
Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen,
Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden.
O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugendwilde,
Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen
Mag unbekuͤmmert ſcherzen,
Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!
Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe,
Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.
Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe,
In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden —
Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern,
Was ich ſeitdem, von Luſt und Leid bezwungen,
Geliebt, geirrt, geſungen:
Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/244>, abgerufen am 16.02.2025. |