Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.eine herrliche Aussicht weit über die Stadt weg in die Der Maler aber hatte unterdeß das hölzerne Ge¬ eine herrliche Ausſicht weit uͤber die Stadt weg in die Der Maler aber hatte unterdeß das hoͤlzerne Ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0098" n="88"/> eine herrliche Ausſicht weit uͤber die Stadt weg in die<lb/> Berge hinein, wo die Morgenſonne luſtig die weißen<lb/> Landhaͤuſer und Weingaͤrten beſchien. — „Vivat unſer<lb/> kuͤhlgruͤnes Deutſchland da hinter den Bergen!“ rief<lb/> der Maler aus und trank dazu aus der Weinflaſche, die<lb/> er mir dann hinreichte. Ich that ihm hoͤflich Beſcheid,<lb/> und gruͤßte in meinem Herzen die ſchoͤne Heimath in<lb/> der Ferne noch viel tauſendmal.</p><lb/> <p>Der Maler aber hatte unterdeß das hoͤlzerne Ge¬<lb/> ruͤſt, worauf ein ſehr großes Papier aufgeſpannt war,<lb/> naͤher an das Fenſter herangeruͤckt. Auf dem Papiere<lb/> war bloß mit großen ſchwarzen Strichen eine alte<lb/> Huͤtte gar kuͤnſtlich abgezeichnet. Darin ſaß die heilige<lb/> Jungfrau mit einem uͤberaus ſchoͤnen, freudigen und<lb/> doch recht wehmuͤthigen Geſichte. Zu ihren Fuͤßen auf<lb/> einem Neſtlein von Stroh lag das Jeſuskind, ſehr<lb/> freundlich, aber mit großen ernſthaften Augen. Drau¬<lb/> ßen auf der Schwelle der offnen Huͤtte aber knieten<lb/> zwei Hirten-Knaben mit Stab und Taſche. — „Siehſt<lb/> Du,“ ſagte der Maler, „dem einen Hirtenknaben da<lb/> will ich Deinen Kopf aufſetzen, ſo kommt Dein Ge¬<lb/> ſicht doch auch etwas unter die Leute, und will's Gott,<lb/> ſollen ſie ſich daran noch erfreuen, wenn wir beide<lb/> ſchon lange begraben ſind und ſelbſt ſo ſtill und froͤh¬<lb/> lich vor der heiligen Mutter und ihrem Sohne knien,<lb/> wie die gluͤcklichen Jungen hier.“ — Darauf ergriff er<lb/> einen alten Stuhl, von dem ihm aber, da er ihn auf¬<lb/> heben wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er<lb/> paßte ihn geſchwind wieder zuſammen, ſchob ihn vor<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0098]
eine herrliche Ausſicht weit uͤber die Stadt weg in die
Berge hinein, wo die Morgenſonne luſtig die weißen
Landhaͤuſer und Weingaͤrten beſchien. — „Vivat unſer
kuͤhlgruͤnes Deutſchland da hinter den Bergen!“ rief
der Maler aus und trank dazu aus der Weinflaſche, die
er mir dann hinreichte. Ich that ihm hoͤflich Beſcheid,
und gruͤßte in meinem Herzen die ſchoͤne Heimath in
der Ferne noch viel tauſendmal.
Der Maler aber hatte unterdeß das hoͤlzerne Ge¬
ruͤſt, worauf ein ſehr großes Papier aufgeſpannt war,
naͤher an das Fenſter herangeruͤckt. Auf dem Papiere
war bloß mit großen ſchwarzen Strichen eine alte
Huͤtte gar kuͤnſtlich abgezeichnet. Darin ſaß die heilige
Jungfrau mit einem uͤberaus ſchoͤnen, freudigen und
doch recht wehmuͤthigen Geſichte. Zu ihren Fuͤßen auf
einem Neſtlein von Stroh lag das Jeſuskind, ſehr
freundlich, aber mit großen ernſthaften Augen. Drau¬
ßen auf der Schwelle der offnen Huͤtte aber knieten
zwei Hirten-Knaben mit Stab und Taſche. — „Siehſt
Du,“ ſagte der Maler, „dem einen Hirtenknaben da
will ich Deinen Kopf aufſetzen, ſo kommt Dein Ge¬
ſicht doch auch etwas unter die Leute, und will's Gott,
ſollen ſie ſich daran noch erfreuen, wenn wir beide
ſchon lange begraben ſind und ſelbſt ſo ſtill und froͤh¬
lich vor der heiligen Mutter und ihrem Sohne knien,
wie die gluͤcklichen Jungen hier.“ — Darauf ergriff er
einen alten Stuhl, von dem ihm aber, da er ihn auf¬
heben wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er
paßte ihn geſchwind wieder zuſammen, ſchob ihn vor
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