Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.haben, indem sie mit solcher sanften Wehmuth den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Thränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimniß erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urtheile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, daß er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozeß geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küßte das Mädchen, das auf ihrem Schoße eingeschlafen war, dann haben, indem sie mit solcher sanften Wehmuth den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Thränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimniß erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urtheile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, daß er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozeß geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küßte das Mädchen, das auf ihrem Schoße eingeschlafen war, dann <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0025"/> haben, indem sie mit solcher sanften Wehmuth den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Thränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimniß erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urtheile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, daß er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozeß geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küßte das Mädchen, das auf ihrem Schoße eingeschlafen war, dann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
haben, indem sie mit solcher sanften Wehmuth den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Thränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimniß erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urtheile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, daß er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozeß geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küßte das Mädchen, das auf ihrem Schoße eingeschlafen war, dann
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T14:43:47Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T14:43:47Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |