Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mal ins Schauspiel, wo die gedrängteste Menge schon erwartungsvoll versammelt war. Schon gleich im Vorspiel erntete Eugenie den rauschendsten Beifall, ihr Glück war für den Abend schon entschieden. Mir aber war keineswegs freudig zu Muthe, die unangenehmste Verstimmung setzte sich immer fester in mir, und ich schämte mich für Eugenien und das Publicum, die an manchen Stellen ordentlich wetteiferten, wer im Unrichtigen den Preis verdiene. Einzig diejenigen Auftritte, wo sie ein weicheres, in den untern Kreisen menschlicher Regungen erzeugtes Gefühl auszudrücken hatte, gelangen ihr vortrefflich, und so stellte sie die gewaltsame Liebesempfindung, welche der Anblick Lionel's ihr in das Herz schießt, mit unnachahmlichem Reize dar. Die Zuschauer waren außer sich vor Entzücken, und ihr Beifall stieg am Ende bis zur Wuth, die meinem Sinne höchst beschwerlich fiel. Ich fühlte ungeachtet meiner Verstimmung einen heftigen Drang, Eugenien noch zu sehn, und war vielleicht nur ungeduldig, mich an dem Anblick ihrer unmuthigen Persönlichkeit für den unbefriedigenden Kunstgenuß schadlos zu halten. Ich ging zu ihr und wurde gegen mein Erwarten noch angenommen. Sie war schon wieder in ihren gewöhnlichen Kleidern; ermüdet und noch erregt ruhte sie auf dem Sopha und schien ungemein zufrieden und vergnügt. Diese Stimmung ging alsbald auf mich über; man konnte nicht in ihrer Nähe sein, ohne an ihr Theil zu nehmen, und fühlte sie irgend ein Behagen, so sollte man dieses mit- mal ins Schauspiel, wo die gedrängteste Menge schon erwartungsvoll versammelt war. Schon gleich im Vorspiel erntete Eugenie den rauschendsten Beifall, ihr Glück war für den Abend schon entschieden. Mir aber war keineswegs freudig zu Muthe, die unangenehmste Verstimmung setzte sich immer fester in mir, und ich schämte mich für Eugenien und das Publicum, die an manchen Stellen ordentlich wetteiferten, wer im Unrichtigen den Preis verdiene. Einzig diejenigen Auftritte, wo sie ein weicheres, in den untern Kreisen menschlicher Regungen erzeugtes Gefühl auszudrücken hatte, gelangen ihr vortrefflich, und so stellte sie die gewaltsame Liebesempfindung, welche der Anblick Lionel's ihr in das Herz schießt, mit unnachahmlichem Reize dar. Die Zuschauer waren außer sich vor Entzücken, und ihr Beifall stieg am Ende bis zur Wuth, die meinem Sinne höchst beschwerlich fiel. Ich fühlte ungeachtet meiner Verstimmung einen heftigen Drang, Eugenien noch zu sehn, und war vielleicht nur ungeduldig, mich an dem Anblick ihrer unmuthigen Persönlichkeit für den unbefriedigenden Kunstgenuß schadlos zu halten. Ich ging zu ihr und wurde gegen mein Erwarten noch angenommen. Sie war schon wieder in ihren gewöhnlichen Kleidern; ermüdet und noch erregt ruhte sie auf dem Sopha und schien ungemein zufrieden und vergnügt. Diese Stimmung ging alsbald auf mich über; man konnte nicht in ihrer Nähe sein, ohne an ihr Theil zu nehmen, und fühlte sie irgend ein Behagen, so sollte man dieses mit- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0051"/> mal ins Schauspiel, wo die gedrängteste Menge schon erwartungsvoll versammelt war. Schon gleich im Vorspiel erntete Eugenie den rauschendsten Beifall, ihr Glück war für den Abend schon entschieden. Mir aber war keineswegs freudig zu Muthe, die unangenehmste Verstimmung setzte sich immer fester in mir, und ich schämte mich für Eugenien und das Publicum, die an manchen Stellen ordentlich wetteiferten, wer im Unrichtigen den Preis verdiene. Einzig diejenigen Auftritte, wo sie ein weicheres, in den untern Kreisen menschlicher Regungen erzeugtes Gefühl auszudrücken hatte, gelangen ihr vortrefflich, und so stellte sie die gewaltsame Liebesempfindung, welche der Anblick Lionel's ihr in das Herz schießt, mit unnachahmlichem Reize dar. Die Zuschauer waren außer sich vor Entzücken, und ihr Beifall stieg am Ende bis zur Wuth, die meinem Sinne höchst beschwerlich fiel. Ich fühlte ungeachtet meiner Verstimmung einen heftigen Drang, Eugenien noch zu sehn, und war vielleicht nur ungeduldig, mich an dem Anblick ihrer unmuthigen Persönlichkeit für den unbefriedigenden Kunstgenuß schadlos zu halten. Ich ging zu ihr und wurde gegen mein Erwarten noch angenommen.</p><lb/> <p>Sie war schon wieder in ihren gewöhnlichen Kleidern; ermüdet und noch erregt ruhte sie auf dem Sopha und schien ungemein zufrieden und vergnügt. Diese Stimmung ging alsbald auf mich über; man konnte nicht in ihrer Nähe sein, ohne an ihr Theil zu nehmen, und fühlte sie irgend ein Behagen, so sollte man dieses mit-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
mal ins Schauspiel, wo die gedrängteste Menge schon erwartungsvoll versammelt war. Schon gleich im Vorspiel erntete Eugenie den rauschendsten Beifall, ihr Glück war für den Abend schon entschieden. Mir aber war keineswegs freudig zu Muthe, die unangenehmste Verstimmung setzte sich immer fester in mir, und ich schämte mich für Eugenien und das Publicum, die an manchen Stellen ordentlich wetteiferten, wer im Unrichtigen den Preis verdiene. Einzig diejenigen Auftritte, wo sie ein weicheres, in den untern Kreisen menschlicher Regungen erzeugtes Gefühl auszudrücken hatte, gelangen ihr vortrefflich, und so stellte sie die gewaltsame Liebesempfindung, welche der Anblick Lionel's ihr in das Herz schießt, mit unnachahmlichem Reize dar. Die Zuschauer waren außer sich vor Entzücken, und ihr Beifall stieg am Ende bis zur Wuth, die meinem Sinne höchst beschwerlich fiel. Ich fühlte ungeachtet meiner Verstimmung einen heftigen Drang, Eugenien noch zu sehn, und war vielleicht nur ungeduldig, mich an dem Anblick ihrer unmuthigen Persönlichkeit für den unbefriedigenden Kunstgenuß schadlos zu halten. Ich ging zu ihr und wurde gegen mein Erwarten noch angenommen.
Sie war schon wieder in ihren gewöhnlichen Kleidern; ermüdet und noch erregt ruhte sie auf dem Sopha und schien ungemein zufrieden und vergnügt. Diese Stimmung ging alsbald auf mich über; man konnte nicht in ihrer Nähe sein, ohne an ihr Theil zu nehmen, und fühlte sie irgend ein Behagen, so sollte man dieses mit-
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Zitationshilfe: | Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/51>, abgerufen am 17.02.2025. |