Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 2. Marburg, 1758.

Bild:
<< vorherige Seite

gerichts-verfassung in Teutschlande.
wie sehr bewunderte man nicht die sonst unerhörte
vormundschafts-rechnungs-ablage, welche ein prinz
von Hessen von dem andern begerete, nach auswei-
se der acten beim Müller im Reichstags-theater
kaisers Max des Iten. So begeistert und erleuch-
tet, auch wohl gesittet, erschinen nun die Teutschen,
daß vermittels der rechte der Römischen bürger
und bauern, auch die Reichs-stände, in disen orden
versezet seyn sollten. Für einen unabhängigen re-
genten, dessen untertanen nichts, als die ehre des
gehorsams übrig verbliben ist, lässet sich kein besse-
res, als das Römische recht finden: Jedoch wer sich
selbst eine rute bindet, der kan wohl deren streichen
nicht aus dem wege gehen. Das Römische recht
ist unstreitig eines der weisesten gesäze unter der
sonne, wo man einen solchen stats-körper zum grun-
de sezet, wie der alte Römische war, auf den pas-
set diser Römische rock völlig, in betracht er nach
dessen leibe zugeschnitten und gefertiget ist. Allein,
wie sehr ist nicht der Teutsche stats-körper vom
Römischen unterschiden. Eben als wenn des rie-
sen Goliats kleider dem David passen müsten.
Warum hat man dem Teutschen körper nicht ei-
ne hebräische richtschnur in die hand gegeben? ich
meine das Mosaische gesäz. Der wein ist un-
läugbar eines der edelsten geschöpfe in der welt.
Dafern man ihn aber gebrauchet, wo er nicht hin
gehöret, so würde etwas lächerliches heraus kom-
men. Eine gleiche bewandnis hat es mit dem Rö-
mischen rechte. Wo von den bürgerlichen und
bäuerlichen rechts-händeln die frage ist, da findet
es merern teiles plaz. So bald man aber auch
nur bei den Teutschen bauern-lehngütern, und der-
selben stand, auch obligenheiten mit der Römischen
lanze nach den entscheidungs-ringel läuft, alsdann
gibet es juristische sturz-bäume, wodurch die Teut-

sche

gerichts-verfaſſung in Teutſchlande.
wie ſehr bewunderte man nicht die ſonſt unerhoͤrte
vormundſchafts-rechnungs-ablage, welche ein prinz
von Heſſen von dem andern begerete, nach auswei-
ſe der acten beim Muͤller im Reichstags-theater
kaiſers Max des Iten. So begeiſtert und erleuch-
tet, auch wohl geſittet, erſchinen nun die Teutſchen,
daß vermittels der rechte der Roͤmiſchen buͤrger
und bauern, auch die Reichs-ſtaͤnde, in diſen orden
verſezet ſeyn ſollten. Fuͤr einen unabhaͤngigen re-
genten, deſſen untertanen nichts, als die ehre des
gehorſams uͤbrig verbliben iſt, laͤſſet ſich kein beſſe-
res, als das Roͤmiſche recht finden: Jedoch wer ſich
ſelbſt eine rute bindet, der kan wohl deren ſtreichen
nicht aus dem wege gehen. Das Roͤmiſche recht
iſt unſtreitig eines der weiſeſten geſaͤze unter der
ſonne, wo man einen ſolchen ſtats-koͤrper zum grun-
de ſezet, wie der alte Roͤmiſche war, auf den paſ-
ſet diſer Roͤmiſche rock voͤllig, in betracht er nach
deſſen leibe zugeſchnitten und gefertiget iſt. Allein,
wie ſehr iſt nicht der Teutſche ſtats-koͤrper vom
Roͤmiſchen unterſchiden. Eben als wenn des rie-
ſen Goliats kleider dem David paſſen muͤſten.
Warum hat man dem Teutſchen koͤrper nicht ei-
ne hebraͤiſche richtſchnur in die hand gegeben? ich
meine das Moſaiſche geſaͤz. Der wein iſt un-
laͤugbar eines der edelſten geſchoͤpfe in der welt.
Dafern man ihn aber gebrauchet, wo er nicht hin
gehoͤret, ſo wuͤrde etwas laͤcherliches heraus kom-
men. Eine gleiche bewandnis hat es mit dem Roͤ-
miſchen rechte. Wo von den buͤrgerlichen und
baͤuerlichen rechts-haͤndeln die frage iſt, da findet
es merern teiles plaz. So bald man aber auch
nur bei den Teutſchen bauern-lehnguͤtern, und der-
ſelben ſtand, auch obligenheiten mit der Roͤmiſchen
lanze nach den entſcheidungs-ringel laͤuft, alsdann
gibet es juriſtiſche ſturz-baͤume, wodurch die Teut-

ſche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0943" n="895"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gerichts-verfa&#x017F;&#x017F;ung in Teut&#x017F;chlande.</hi></fw><lb/>
wie &#x017F;ehr bewunderte man nicht die &#x017F;on&#x017F;t unerho&#x0364;rte<lb/>
vormund&#x017F;chafts-rechnungs-ablage, welche ein prinz<lb/>
von He&#x017F;&#x017F;en von dem andern begerete, nach auswei-<lb/>
&#x017F;e der acten beim <hi rendition="#fr">Mu&#x0364;ller</hi> im Reichstags-theater<lb/>
kai&#x017F;ers Max des <hi rendition="#aq">I</hi>ten. So begei&#x017F;tert und erleuch-<lb/>
tet, auch wohl ge&#x017F;ittet, er&#x017F;chinen nun die Teut&#x017F;chen,<lb/>
daß vermittels der rechte der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen bu&#x0364;rger<lb/>
und bauern, auch die Reichs-&#x017F;ta&#x0364;nde, in di&#x017F;en orden<lb/>
ver&#x017F;ezet &#x017F;eyn &#x017F;ollten. Fu&#x0364;r einen unabha&#x0364;ngigen re-<lb/>
genten, de&#x017F;&#x017F;en untertanen nichts, als die ehre des<lb/>
gehor&#x017F;ams u&#x0364;brig verbliben i&#x017F;t, la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich kein be&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
res, als das Ro&#x0364;mi&#x017F;che recht finden: Jedoch wer &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t eine rute bindet, der kan wohl deren &#x017F;treichen<lb/>
nicht aus dem wege gehen. Das Ro&#x0364;mi&#x017F;che recht<lb/>
i&#x017F;t un&#x017F;treitig eines der wei&#x017F;e&#x017F;ten ge&#x017F;a&#x0364;ze unter der<lb/>
&#x017F;onne, wo man einen &#x017F;olchen &#x017F;tats-ko&#x0364;rper zum grun-<lb/>
de &#x017F;ezet, wie der alte Ro&#x0364;mi&#x017F;che war, auf den pa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et di&#x017F;er Ro&#x0364;mi&#x017F;che rock vo&#x0364;llig, in betracht er nach<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en leibe zuge&#x017F;chnitten und gefertiget i&#x017F;t. Allein,<lb/>
wie &#x017F;ehr i&#x017F;t nicht der Teut&#x017F;che &#x017F;tats-ko&#x0364;rper vom<lb/>
Ro&#x0364;mi&#x017F;chen unter&#x017F;chiden. Eben als wenn des rie-<lb/>
&#x017F;en Goliats kleider dem David pa&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;ten.<lb/>
Warum hat man dem Teut&#x017F;chen ko&#x0364;rper nicht ei-<lb/>
ne hebra&#x0364;i&#x017F;che richt&#x017F;chnur in die hand gegeben? ich<lb/>
meine das Mo&#x017F;ai&#x017F;che ge&#x017F;a&#x0364;z. Der wein i&#x017F;t un-<lb/>
la&#x0364;ugbar eines der edel&#x017F;ten ge&#x017F;cho&#x0364;pfe in der welt.<lb/>
Dafern man ihn aber gebrauchet, wo er nicht hin<lb/>
geho&#x0364;ret, &#x017F;o wu&#x0364;rde etwas la&#x0364;cherliches heraus kom-<lb/>
men. Eine gleiche bewandnis hat es mit dem Ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;chen rechte. Wo von den bu&#x0364;rgerlichen und<lb/>
ba&#x0364;uerlichen rechts-ha&#x0364;ndeln die frage i&#x017F;t, da findet<lb/>
es merern teiles plaz. So bald man aber auch<lb/>
nur bei den Teut&#x017F;chen bauern-lehngu&#x0364;tern, und der-<lb/>
&#x017F;elben &#x017F;tand, auch obligenheiten mit der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
lanze nach den ent&#x017F;cheidungs-ringel la&#x0364;uft, alsdann<lb/>
gibet es juri&#x017F;ti&#x017F;che &#x017F;turz-ba&#x0364;ume, wodurch die Teut-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;che</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[895/0943] gerichts-verfaſſung in Teutſchlande. wie ſehr bewunderte man nicht die ſonſt unerhoͤrte vormundſchafts-rechnungs-ablage, welche ein prinz von Heſſen von dem andern begerete, nach auswei- ſe der acten beim Muͤller im Reichstags-theater kaiſers Max des Iten. So begeiſtert und erleuch- tet, auch wohl geſittet, erſchinen nun die Teutſchen, daß vermittels der rechte der Roͤmiſchen buͤrger und bauern, auch die Reichs-ſtaͤnde, in diſen orden verſezet ſeyn ſollten. Fuͤr einen unabhaͤngigen re- genten, deſſen untertanen nichts, als die ehre des gehorſams uͤbrig verbliben iſt, laͤſſet ſich kein beſſe- res, als das Roͤmiſche recht finden: Jedoch wer ſich ſelbſt eine rute bindet, der kan wohl deren ſtreichen nicht aus dem wege gehen. Das Roͤmiſche recht iſt unſtreitig eines der weiſeſten geſaͤze unter der ſonne, wo man einen ſolchen ſtats-koͤrper zum grun- de ſezet, wie der alte Roͤmiſche war, auf den paſ- ſet diſer Roͤmiſche rock voͤllig, in betracht er nach deſſen leibe zugeſchnitten und gefertiget iſt. Allein, wie ſehr iſt nicht der Teutſche ſtats-koͤrper vom Roͤmiſchen unterſchiden. Eben als wenn des rie- ſen Goliats kleider dem David paſſen muͤſten. Warum hat man dem Teutſchen koͤrper nicht ei- ne hebraͤiſche richtſchnur in die hand gegeben? ich meine das Moſaiſche geſaͤz. Der wein iſt un- laͤugbar eines der edelſten geſchoͤpfe in der welt. Dafern man ihn aber gebrauchet, wo er nicht hin gehoͤret, ſo wuͤrde etwas laͤcherliches heraus kom- men. Eine gleiche bewandnis hat es mit dem Roͤ- miſchen rechte. Wo von den buͤrgerlichen und baͤuerlichen rechts-haͤndeln die frage iſt, da findet es merern teiles plaz. So bald man aber auch nur bei den Teutſchen bauern-lehnguͤtern, und der- ſelben ſtand, auch obligenheiten mit der Roͤmiſchen lanze nach den entſcheidungs-ringel laͤuft, alsdann gibet es juriſtiſche ſturz-baͤume, wodurch die Teut- ſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit02_1758
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit02_1758/943
Zitationshilfe: Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 2. Marburg, 1758, S. 895. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit02_1758/943>, abgerufen am 16.07.2024.