1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der Miniaturen, malen ohne Ausnahme das Haar immer gold- blond; es sei denn, daß sie mit anderer Farbe einen Mangel des Standes, des Charakters oder die Abkunft von einer fremden, barbarischen Nation ausdrücken wollen. --
Welchem Stande jemand angehörte, suchte man schon da- mals an den Armen, Händen und Füßen durch unterschei- dende Merkmale in der Form oder auch durch größere Sorgfalt in der Behandlung zu erkennen. Zur vollen und feinen Schön- heit mußten sie "hovelich", ritterlich, oder nach unserer Ausdrucks- weise aristokratisch sein. Bei der Hand waren die dazu erforderli- chen Eigenschaften außer der Weiße und Weichheit -- die weiße, linde Hand kommt unzählige Male vor -- grade wie heute noch die Kleinheit, die längliche und schmale Form, nebst langen, gra- den, glatten Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten Nä- geln, in denen sich das Gesicht spiegeln konnte. So werden in einem Gedicht dieser Zeit -- mitgetheilt in von der Hagens Ge- sammtabenteuern -- die Hände einer schönen Meierin geschildert als weiß, aristokratisch und lang und darum einer Gräfin wür- dig. So sagt auch Peter Suchenwirt von der schönen Frau Abenteuer:
"Sie war geboren von reiner Art, Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang."
Daß die Damen Englands sich schon zu jener Zeit durch diesen Vorzug vor denen anderer Völker auszeichneten, erfahren wir aus einem Gedicht Kaiser Friedrichs II., der diese Eigenschaft an ihnen rühmt; er konnte hier aus Erfahrung sprechen, da seine zweite Gemahlin bekanntlich eine Prinzessin dieses Landes war. -- Auch für die Arme stellte man die Forderung des Ritterlichen oder Höfischen auf; man verlangte Weiße, Weichheit, Länge, schöne Rundung und gemäßigte Fülle. Eine aristokratische Eigen- schaft der Füße war außer der Weiße, Kleinheit und Zierlichkeit die hohe, gebogene Form des Ristes, sodaß unter demselben sich eine Höhlung bildete, groß genug, um einen Zeisig zu verbergen. So wird im Wigamur der Fuß der Königin Nyfrogar geschildert, die ihre hohe Abkunft auch durch weiße Händlein und lange Fin-
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der Miniaturen, malen ohne Ausnahme das Haar immer gold- blond; es ſei denn, daß ſie mit anderer Farbe einen Mangel des Standes, des Charakters oder die Abkunft von einer fremden, barbariſchen Nation ausdrücken wollen. —
Welchem Stande jemand angehörte, ſuchte man ſchon da- mals an den Armen, Händen und Füßen durch unterſchei- dende Merkmale in der Form oder auch durch größere Sorgfalt in der Behandlung zu erkennen. Zur vollen und feinen Schön- heit mußten ſie „hovelich“, ritterlich, oder nach unſerer Ausdrucks- weiſe ariſtokratiſch ſein. Bei der Hand waren die dazu erforderli- chen Eigenſchaften außer der Weiße und Weichheit — die weiße, linde Hand kommt unzählige Male vor — grade wie heute noch die Kleinheit, die längliche und ſchmale Form, nebſt langen, gra- den, glatten Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten Nä- geln, in denen ſich das Geſicht ſpiegeln konnte. So werden in einem Gedicht dieſer Zeit — mitgetheilt in von der Hagens Ge- ſammtabenteuern — die Hände einer ſchönen Meierin geſchildert als weiß, ariſtokratiſch und lang und darum einer Gräfin wür- dig. So ſagt auch Peter Suchenwirt von der ſchönen Frau Abenteuer:
„Sie war geboren von reiner Art, Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang.“
Daß die Damen Englands ſich ſchon zu jener Zeit durch dieſen Vorzug vor denen anderer Völker auszeichneten, erfahren wir aus einem Gedicht Kaiſer Friedrichs II., der dieſe Eigenſchaft an ihnen rühmt; er konnte hier aus Erfahrung ſprechen, da ſeine zweite Gemahlin bekanntlich eine Prinzeſſin dieſes Landes war. — Auch für die Arme ſtellte man die Forderung des Ritterlichen oder Höfiſchen auf; man verlangte Weiße, Weichheit, Länge, ſchöne Rundung und gemäßigte Fülle. Eine ariſtokratiſche Eigen- ſchaft der Füße war außer der Weiße, Kleinheit und Zierlichkeit die hohe, gebogene Form des Riſtes, ſodaß unter demſelben ſich eine Höhlung bildete, groß genug, um einen Zeiſig zu verbergen. So wird im Wigamur der Fuß der Königin Nyfrogar geſchildert, die ihre hohe Abkunft auch durch weiße Händlein und lange Fin-
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der Miniaturen, malen ohne Ausnahme das Haar immer gold-
blond; es ſei denn, daß ſie mit anderer Farbe einen Mangel des
Standes, des Charakters oder die Abkunft von einer fremden,
barbariſchen Nation ausdrücken wollen. —
Welchem Stande jemand angehörte, ſuchte man ſchon da-
mals an den Armen, Händen und Füßen durch unterſchei-
dende Merkmale in der Form oder auch durch größere Sorgfalt
in der Behandlung zu erkennen. Zur vollen und feinen Schön-
heit mußten ſie „hovelich“, ritterlich, oder nach unſerer Ausdrucks-
weiſe ariſtokratiſch ſein. Bei der Hand waren die dazu erforderli-
chen Eigenſchaften außer der Weiße und Weichheit — die weiße,
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die Kleinheit, die längliche und ſchmale Form, nebſt langen, gra-
den, glatten Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten Nä-
geln, in denen ſich das Geſicht ſpiegeln konnte. So werden in
einem Gedicht dieſer Zeit — mitgetheilt in von der Hagens Ge-
ſammtabenteuern — die Hände einer ſchönen Meierin geſchildert
als weiß, ariſtokratiſch und lang und darum einer Gräfin wür-
dig. So ſagt auch Peter Suchenwirt von der ſchönen Frau
Abenteuer:
„Sie war geboren von reiner Art,
Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang.“
Daß die Damen Englands ſich ſchon zu jener Zeit durch dieſen
Vorzug vor denen anderer Völker auszeichneten, erfahren wir aus
einem Gedicht Kaiſer Friedrichs II., der dieſe Eigenſchaft an
ihnen rühmt; er konnte hier aus Erfahrung ſprechen, da ſeine
zweite Gemahlin bekanntlich eine Prinzeſſin dieſes Landes war.
— Auch für die Arme ſtellte man die Forderung des Ritterlichen
oder Höfiſchen auf; man verlangte Weiße, Weichheit, Länge,
ſchöne Rundung und gemäßigte Fülle. Eine ariſtokratiſche Eigen-
ſchaft der Füße war außer der Weiße, Kleinheit und Zierlichkeit
die hohe, gebogene Form des Riſtes, ſodaß unter demſelben ſich
eine Höhlung bildete, groß genug, um einen Zeiſig zu verbergen.
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/109>, abgerufen am 16.02.2025.
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