Gegenüber dem Reichthum der Bilderwerke, welche das Costüm behandeln -- ich selbst habe die Summe derselben um eines vermehren helfen --, schien es mir an der Zeit zu sein, dem Worte wieder zu seinem Rechte zu verhelfen und, den anti- quarischen Standpunkt verlassend, diesen Gegenstand in seiner Entwicklung als ein Glied der deutschen Culturgeschichte darzu- stellen. Der Grundgedanke, der mich dabei leitete, ist, den Zu- sammenhang zwischen den Wandlungen der äußeren menschlichen Erscheinung und des innern Culturlebens in der Geschichte der Deutschen nachzuweisen. Denn wie eine jede Nation einen Na- tionalcharakter mit Recht für sich in Anspruch nimmt, der sie als ein einheitliches, einziges Ganze gleichsam mit einer Seele em- pfinden und handeln läßt, so ist auch in der Geschichte der Civi- lisation oder des Bildungsganges des einzelnen Volks wie der ganzen Menschheit, soweit sie im Strom der Cultur vorwärts schreitet, einer jeden Stufe ein solcher Gesammtcharakter, ein zur Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zu- zuschreiben. Diese Seele der Zeiten krystallisirt alle ihre Lebens- äußerungen in ihr eigenthümliche und darum nothwendige For- men, an denen ein geübtes Auge alsobald erkennen muß, weß Geistes Kinder sie sind. In diesem Sinn ist auch das Costüm
Vorwort.
Gegenüber dem Reichthum der Bilderwerke, welche das Coſtüm behandeln — ich ſelbſt habe die Summe derſelben um eines vermehren helfen —, ſchien es mir an der Zeit zu ſein, dem Worte wieder zu ſeinem Rechte zu verhelfen und, den anti- quariſchen Standpunkt verlaſſend, dieſen Gegenſtand in ſeiner Entwicklung als ein Glied der deutſchen Culturgeſchichte darzu- ſtellen. Der Grundgedanke, der mich dabei leitete, iſt, den Zu- ſammenhang zwiſchen den Wandlungen der äußeren menſchlichen Erſcheinung und des innern Culturlebens in der Geſchichte der Deutſchen nachzuweiſen. Denn wie eine jede Nation einen Na- tionalcharakter mit Recht für ſich in Anſpruch nimmt, der ſie als ein einheitliches, einziges Ganze gleichſam mit einer Seele em- pfinden und handeln läßt, ſo iſt auch in der Geſchichte der Civi- liſation oder des Bildungsganges des einzelnen Volks wie der ganzen Menſchheit, ſoweit ſie im Strom der Cultur vorwärts ſchreitet, einer jeden Stufe ein ſolcher Geſammtcharakter, ein zur Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zu- zuſchreiben. Dieſe Seele der Zeiten kryſtalliſirt alle ihre Lebens- äußerungen in ihr eigenthümliche und darum nothwendige For- men, an denen ein geübtes Auge alſobald erkennen muß, weß Geiſtes Kinder ſie ſind. In dieſem Sinn iſt auch das Coſtüm
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[[V]/0011]
Vorwort.
Gegenüber dem Reichthum der Bilderwerke, welche das
Coſtüm behandeln — ich ſelbſt habe die Summe derſelben um
eines vermehren helfen —, ſchien es mir an der Zeit zu ſein,
dem Worte wieder zu ſeinem Rechte zu verhelfen und, den anti-
quariſchen Standpunkt verlaſſend, dieſen Gegenſtand in ſeiner
Entwicklung als ein Glied der deutſchen Culturgeſchichte darzu-
ſtellen. Der Grundgedanke, der mich dabei leitete, iſt, den Zu-
ſammenhang zwiſchen den Wandlungen der äußeren menſchlichen
Erſcheinung und des innern Culturlebens in der Geſchichte der
Deutſchen nachzuweiſen. Denn wie eine jede Nation einen Na-
tionalcharakter mit Recht für ſich in Anſpruch nimmt, der ſie als
ein einheitliches, einziges Ganze gleichſam mit einer Seele em-
pfinden und handeln läßt, ſo iſt auch in der Geſchichte der Civi-
liſation oder des Bildungsganges des einzelnen Volks wie der
ganzen Menſchheit, ſoweit ſie im Strom der Cultur vorwärts
ſchreitet, einer jeden Stufe ein ſolcher Geſammtcharakter, ein zur
Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zu-
zuſchreiben. Dieſe Seele der Zeiten kryſtalliſirt alle ihre Lebens-
äußerungen in ihr eigenthümliche und darum nothwendige For-
men, an denen ein geübtes Auge alſobald erkennen muß, weß
Geiſtes Kinder ſie ſind. In dieſem Sinn iſt auch das Coſtüm
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/11>, abgerufen am 03.12.2024.
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