Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. lichen Erscheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir ausder Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen in der Sammlung der Gesammtabenteuer mittheilt. Einst kehrte bei schlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gast ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer gesetzt, mitten zwischen die beiden Töchter des Wirths. Das Feuer brennt stark, und als die Hitze zu arg wird, entkleidet sich der Wirth seines Rockes, sodaß er im Hemde dasitzt, und bittet den Gast völlig ungenirt seinem Beispiel zu folgen. Dieser widerstrebt und entschuldigt sich mit der Unschicklichkeit, so etwas im fremden Hause unter Damen zu thun. Der Wirth, welcher diesen Grund für aufrichtig gemeint hält, wird dringender und will endlich, voll guten Willens, es seinem Gast so bequem wie möglich zu machen, diesen mit Ge- walt von dem in der Hitze lästigen Kleidungsstück befreien. Er giebt seinen Dienern einen Wink; plötzlich fassen diese den Rock und ziehen ihn über das Haupt des Ritters, der auf einmal völlig nackt zwischen den beiden Damen sitzt. "Da war der Gast beraubt durch die viel Minne Der Ehren und der Sinne; Er saß, da er ward ohne Rock, Recht als ein beschälter Stock, Ohne Hose und ohne Hemd, Die waren ihm beide fremd." Wir erkennen aus dieser Erzählung, daß Hemd, Rock und Bein- 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. lichen Erſcheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir ausder Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen in der Sammlung der Geſammtabenteuer mittheilt. Einſt kehrte bei ſchlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gaſt ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer geſetzt, mitten zwiſchen die beiden Töchter des Wirths. Das Feuer brennt ſtark, und als die Hitze zu arg wird, entkleidet ſich der Wirth ſeines Rockes, ſodaß er im Hemde daſitzt, und bittet den Gaſt völlig ungenirt ſeinem Beiſpiel zu folgen. Dieſer widerſtrebt und entſchuldigt ſich mit der Unſchicklichkeit, ſo etwas im fremden Hauſe unter Damen zu thun. Der Wirth, welcher dieſen Grund für aufrichtig gemeint hält, wird dringender und will endlich, voll guten Willens, es ſeinem Gaſt ſo bequem wie möglich zu machen, dieſen mit Ge- walt von dem in der Hitze läſtigen Kleidungsſtück befreien. Er giebt ſeinen Dienern einen Wink; plötzlich faſſen dieſe den Rock und ziehen ihn über das Haupt des Ritters, der auf einmal völlig nackt zwiſchen den beiden Damen ſitzt. „Da war der Gaſt beraubt durch die viel Minne Der Ehren und der Sinne; Er ſaß, da er ward ohne Rock, Recht als ein beſchälter Stock, Ohne Hoſe und ohne Hemd, Die waren ihm beide fremd.“ Wir erkennen aus dieſer Erzählung, daß Hemd, Rock und Bein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0145" n="127"/><fw place="top" type="header">1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.</fw><lb/> lichen Erſcheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir aus<lb/> der Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen<lb/> in der Sammlung der Geſammtabenteuer mittheilt. Einſt kehrte<lb/> bei ſchlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gaſt<lb/> ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer geſetzt, mitten zwiſchen die<lb/> beiden Töchter des Wirths. 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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
lichen Erſcheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir aus
der Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen
in der Sammlung der Geſammtabenteuer mittheilt. Einſt kehrte
bei ſchlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gaſt
ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer geſetzt, mitten zwiſchen die
beiden Töchter des Wirths. Das Feuer brennt ſtark, und als die
Hitze zu arg wird, entkleidet ſich der Wirth ſeines Rockes, ſodaß
er im Hemde daſitzt, und bittet den Gaſt völlig ungenirt ſeinem
Beiſpiel zu folgen. Dieſer widerſtrebt und entſchuldigt ſich mit der
Unſchicklichkeit, ſo etwas im fremden Hauſe unter Damen zu
thun. Der Wirth, welcher dieſen Grund für aufrichtig gemeint
hält, wird dringender und will endlich, voll guten Willens, es
ſeinem Gaſt ſo bequem wie möglich zu machen, dieſen mit Ge-
walt von dem in der Hitze läſtigen Kleidungsſtück befreien. Er
giebt ſeinen Dienern einen Wink; plötzlich faſſen dieſe den Rock
und ziehen ihn über das Haupt des Ritters, der auf einmal völlig
nackt zwiſchen den beiden Damen ſitzt.
„Da war der Gaſt beraubt durch die viel Minne
Der Ehren und der Sinne;
Er ſaß, da er ward ohne Rock,
Recht als ein beſchälter Stock,
Ohne Hoſe und ohne Hemd,
Die waren ihm beide fremd.“
Wir erkennen aus dieſer Erzählung, daß Hemd, Rock und Bein-
kleid die Kleidungsſtücke waren, welche beim anſtändigen Mann
als durchaus nothwendig vorausgeſetzt wurden, wozu dann noch
ergänzend der Mantel kam, und ferner, daß in dieſer Zeit, im
dreizehnten Jahrhundert, der Rock ſo lang war, daß er den gan-
zen Mann bedeckte. Dieſelbe Zahl der Kleider findet auch anders-
wo, z. B. im Parzival, ihre Beſtätigung. Als Gawan, von
Wunden und Kampf erſchöpft, ausgeruht hat und vom Bette ſich
erhebt, findet er zum Austauſch für ſeine blutige und von Eiſen-
roſt befleckte Kleidung auf ſeinem Stuhl einen vollſtändigen An-
zug. Derſelbe beſteht aus Hoſe und Hemd, einem Rock, mit
Marderpelz gefüttert, und einem Mantel nebſt Marderhut und
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