Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. Theilen und überhaupt die ganze äußere Erscheinung der deutschenMenschenwelt bis in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hinein verfolgt, bis auf einen Punkt, wo sie, wenn auch dem kundigen Auge römischen Ursprung oder Einfluß nicht verleug- nend, doch als eine selbstständig ausgebildete und mittelalterlich originale dasteht, und zugleich in ruhiger Schönheit und einfacher Eleganz dem fein gebildeten Geschmack hohe Befriedigung ge- währt. Genau um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ge- schieht der Umschwung zu anderen Formen in der Trachtenwelt, wenn auch nicht plötzlich und mit einem Male, doch in so aus- gesprochener Weise, daß er den Mitlebenden selbst ins Bewußt- sein tritt. Der Schönheitsinn fühlt sich nicht mehr befriedigt an plastisch würdevollen Erscheinungen; die durch Ueberfeinerung irre geleitete Phantasie will erfinderisch sein und gefällt sich bald in Bizarrerieen und Ausgeburten; der Mensch mit seiner äußeren Erscheinung wird in Formen und Farben ein unruhig buntes Wesen, das oft nur ein Zerrbild ist. Er ist nur ein Abglanz einer Zeit, welcher die großen, leitenden Ideen abgehen, statt de- ren Zersplitterung und endlich die Auflösung der Grundlagen des mittelalterlichen Lebens eintritt. Die drei oder vier letzten Jahr- zehnte vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bildeten die Vorbereitungszeit, in welcher die neue Richtung in Einzelheiten andeutend zu Tage tritt, und ebenso in gleichem Maße die Tracht der höfischen Zeit stufenweise von ihrem Charakter einbüßt. Die- ses allmählige Hinübergehen des Einen in das Andere wollen wir am Schluß dieser Periode noch in den einzelnen Hauptmo- menten nachweisen. Da hier ein wesentlich Neues nicht mit einem Male auftritt, sondern nur eine Wandlung an uns nunmehr bekannten Dingen vor sich geht, so läßt sich das Nöthige auf we- nige Worte beschränken. Das Neugewordene, Fertige findet im nächsten Kapitel seine Besprechung. Die Neigung zur Enge und Einschnürung des Körpers, 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. Theilen und überhaupt die ganze äußere Erſcheinung der deutſchenMenſchenwelt bis in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hinein verfolgt, bis auf einen Punkt, wo ſie, wenn auch dem kundigen Auge römiſchen Urſprung oder Einfluß nicht verleug- nend, doch als eine ſelbſtſtändig ausgebildete und mittelalterlich originale daſteht, und zugleich in ruhiger Schönheit und einfacher Eleganz dem fein gebildeten Geſchmack hohe Befriedigung ge- währt. Genau um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ge- ſchieht der Umſchwung zu anderen Formen in der Trachtenwelt, wenn auch nicht plötzlich und mit einem Male, doch in ſo aus- geſprochener Weiſe, daß er den Mitlebenden ſelbſt ins Bewußt- ſein tritt. Der Schönheitſinn fühlt ſich nicht mehr befriedigt an plaſtiſch würdevollen Erſcheinungen; die durch Ueberfeinerung irre geleitete Phantaſie will erfinderiſch ſein und gefällt ſich bald in Bizarrerieen und Ausgeburten; der Menſch mit ſeiner äußeren Erſcheinung wird in Formen und Farben ein unruhig buntes Weſen, das oft nur ein Zerrbild iſt. Er iſt nur ein Abglanz einer Zeit, welcher die großen, leitenden Ideen abgehen, ſtatt de- ren Zerſplitterung und endlich die Auflöſung der Grundlagen des mittelalterlichen Lebens eintritt. Die drei oder vier letzten Jahr- zehnte vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bildeten die Vorbereitungszeit, in welcher die neue Richtung in Einzelheiten andeutend zu Tage tritt, und ebenſo in gleichem Maße die Tracht der höfiſchen Zeit ſtufenweiſe von ihrem Charakter einbüßt. Die- ſes allmählige Hinübergehen des Einen in das Andere wollen wir am Schluß dieſer Periode noch in den einzelnen Hauptmo- menten nachweiſen. Da hier ein weſentlich Neues nicht mit einem Male auftritt, ſondern nur eine Wandlung an uns nunmehr bekannten Dingen vor ſich geht, ſo läßt ſich das Nöthige auf we- nige Worte beſchränken. Das Neugewordene, Fertige findet im nächſten Kapitel ſeine Beſprechung. Die Neigung zur Enge und Einſchnürung des Körpers, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0185" n="167"/><fw place="top" type="header">1. 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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Theilen und überhaupt die ganze äußere Erſcheinung der deutſchen
Menſchenwelt bis in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts
hinein verfolgt, bis auf einen Punkt, wo ſie, wenn auch dem
kundigen Auge römiſchen Urſprung oder Einfluß nicht verleug-
nend, doch als eine ſelbſtſtändig ausgebildete und mittelalterlich
originale daſteht, und zugleich in ruhiger Schönheit und einfacher
Eleganz dem fein gebildeten Geſchmack hohe Befriedigung ge-
währt. Genau um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ge-
ſchieht der Umſchwung zu anderen Formen in der Trachtenwelt,
wenn auch nicht plötzlich und mit einem Male, doch in ſo aus-
geſprochener Weiſe, daß er den Mitlebenden ſelbſt ins Bewußt-
ſein tritt. Der Schönheitſinn fühlt ſich nicht mehr befriedigt an
plaſtiſch würdevollen Erſcheinungen; die durch Ueberfeinerung
irre geleitete Phantaſie will erfinderiſch ſein und gefällt ſich bald
in Bizarrerieen und Ausgeburten; der Menſch mit ſeiner äußeren
Erſcheinung wird in Formen und Farben ein unruhig buntes
Weſen, das oft nur ein Zerrbild iſt. Er iſt nur ein Abglanz
einer Zeit, welcher die großen, leitenden Ideen abgehen, ſtatt de-
ren Zerſplitterung und endlich die Auflöſung der Grundlagen des
mittelalterlichen Lebens eintritt. Die drei oder vier letzten Jahr-
zehnte vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bildeten die
Vorbereitungszeit, in welcher die neue Richtung in Einzelheiten
andeutend zu Tage tritt, und ebenſo in gleichem Maße die Tracht
der höfiſchen Zeit ſtufenweiſe von ihrem Charakter einbüßt. Die-
ſes allmählige Hinübergehen des Einen in das Andere wollen
wir am Schluß dieſer Periode noch in den einzelnen Hauptmo-
menten nachweiſen. Da hier ein weſentlich Neues nicht mit einem
Male auftritt, ſondern nur eine Wandlung an uns nunmehr
bekannten Dingen vor ſich geht, ſo läßt ſich das Nöthige auf we-
nige Worte beſchränken. Das Neugewordene, Fertige findet im
nächſten Kapitel ſeine Beſprechung.
Die Neigung zur Enge und Einſchnürung des Körpers,
welche eine Zeitlang Oppoſition erhalten hatte, tritt wieder mit
voller Gewalt auf und ſteigert ſich ſodann in der folgenden Pe-
riode bei der Männerwelt auf das höchſt mögliche Maß. Der
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