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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
Unterfutter zu zeigen. Der Rath von Ulm verbot sogar (1406)
ihn noch länger zu tragen. Hier fällt die Stutzerhaftigkeit mit der
Oberkleidung in das entgegengesetzte Extrem. In England war es
damals unter der Regierung Richards II. und Heinrichs IV. ganz
ähnlich: es wird geklagt, daß man die Männer nicht mehr in
ihrem Aeußern von den Frauen unterscheiden könne. Aber es
findet sich auch der Trappert kurz bis zum Knie und noch kürzer,
ferner mit langen, weiten, bis auf den Boden fallenden Aermeln,
und mit engeren, die bis zum Ellbogen zugeknöpft sind. Die
Mannigfaltigkeit dieses Kleidungsstücks ist noch in beständigem
Wachsen.

Was der männlichen Kleidung dieser Zeit vor allem den
Charakter des Phantastischen und Geckenhaften verleiht, das sind
die s. g. Zatteln, eine Zerschneidung der Ränder in lange
Zacken oder Lappen, oder ein Besatz mit denselben. Man begeg-
net ihnen in Deutschland, wie wir gesehen haben, schon im drei-
zehnten Jahrhundert, aber damals nur als einer Eigenthümlichkeit
aller fahrenden Leute des Komödiantenwesens, der vagirenden
Musiker, Jongleurs und andrer heimathloser Leute ihrer Art.
Der Ritter und der Bürger verachtete diese Sitte. Allein schon
in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts sind in der
Provence, der Heimath der Romantik und der Liebesthorheiten,
die Zatteln beim Ritterstande vollkommen eingebürgert. Die
Herren der Liebeshöfe -- wir haben eine Miniature vor uns --
tragen die Gugel um die Schultern, von deren unterem Rand die
Zatteln, lang und spitz, bis zum Gürtel herabfallen; selbst der
Rand der Kaputze, wo er das Gesicht umfaßt, ist tief ausgezackt.
Der kurze, enge Rock reicht kaum auf die Oberschenkel, aber die
gezackten Lappen fallen bis gegen die Kniee herab. Von den
Ellbogen reichen die Doppelärmel in langen, schmalen Schwänzen
bis nahe auf den Boden. Ebenso zeigt sich die Mode in Deutsch-
land bei den vornehmen Ständen seit der Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts, und der Rath zu Speier verbietet (1356) "die
unter den Augen zerschnitzelten Kugelhüte". Aber die Zatteln
beschränken sich nicht auf die Gugeln und kurzen Röcke; Mäntel,

II. Das Mittelalter.
Unterfutter zu zeigen. Der Rath von Ulm verbot ſogar (1406)
ihn noch länger zu tragen. Hier fällt die Stutzerhaftigkeit mit der
Oberkleidung in das entgegengeſetzte Extrem. In England war es
damals unter der Regierung Richards II. und Heinrichs IV. ganz
ähnlich: es wird geklagt, daß man die Männer nicht mehr in
ihrem Aeußern von den Frauen unterſcheiden könne. Aber es
findet ſich auch der Trappert kurz bis zum Knie und noch kürzer,
ferner mit langen, weiten, bis auf den Boden fallenden Aermeln,
und mit engeren, die bis zum Ellbogen zugeknöpft ſind. Die
Mannigfaltigkeit dieſes Kleidungsſtücks iſt noch in beſtändigem
Wachſen.

Was der männlichen Kleidung dieſer Zeit vor allem den
Charakter des Phantaſtiſchen und Geckenhaften verleiht, das ſind
die ſ. g. Zatteln, eine Zerſchneidung der Ränder in lange
Zacken oder Lappen, oder ein Beſatz mit denſelben. Man begeg-
net ihnen in Deutſchland, wie wir geſehen haben, ſchon im drei-
zehnten Jahrhundert, aber damals nur als einer Eigenthümlichkeit
aller fahrenden Leute des Komödiantenweſens, der vagirenden
Muſiker, Jongleurs und andrer heimathloſer Leute ihrer Art.
Der Ritter und der Bürger verachtete dieſe Sitte. Allein ſchon
in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ſind in der
Provence, der Heimath der Romantik und der Liebesthorheiten,
die Zatteln beim Ritterſtande vollkommen eingebürgert. Die
Herren der Liebeshöfe — wir haben eine Miniature vor uns —
tragen die Gugel um die Schultern, von deren unterem Rand die
Zatteln, lang und ſpitz, bis zum Gürtel herabfallen; ſelbſt der
Rand der Kaputze, wo er das Geſicht umfaßt, iſt tief ausgezackt.
Der kurze, enge Rock reicht kaum auf die Oberſchenkel, aber die
gezackten Lappen fallen bis gegen die Kniee herab. Von den
Ellbogen reichen die Doppelärmel in langen, ſchmalen Schwänzen
bis nahe auf den Boden. Ebenſo zeigt ſich die Mode in Deutſch-
land bei den vornehmen Ständen ſeit der Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts, und der Rath zu Speier verbietet (1356) „die
unter den Augen zerſchnitzelten Kugelhüte“. Aber die Zatteln
beſchränken ſich nicht auf die Gugeln und kurzen Röcke; Mäntel,

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[208/0226] II. Das Mittelalter. Unterfutter zu zeigen. Der Rath von Ulm verbot ſogar (1406) ihn noch länger zu tragen. Hier fällt die Stutzerhaftigkeit mit der Oberkleidung in das entgegengeſetzte Extrem. In England war es damals unter der Regierung Richards II. und Heinrichs IV. ganz ähnlich: es wird geklagt, daß man die Männer nicht mehr in ihrem Aeußern von den Frauen unterſcheiden könne. Aber es findet ſich auch der Trappert kurz bis zum Knie und noch kürzer, ferner mit langen, weiten, bis auf den Boden fallenden Aermeln, und mit engeren, die bis zum Ellbogen zugeknöpft ſind. Die Mannigfaltigkeit dieſes Kleidungsſtücks iſt noch in beſtändigem Wachſen. Was der männlichen Kleidung dieſer Zeit vor allem den Charakter des Phantaſtiſchen und Geckenhaften verleiht, das ſind die ſ. g. Zatteln, eine Zerſchneidung der Ränder in lange Zacken oder Lappen, oder ein Beſatz mit denſelben. Man begeg- net ihnen in Deutſchland, wie wir geſehen haben, ſchon im drei- zehnten Jahrhundert, aber damals nur als einer Eigenthümlichkeit aller fahrenden Leute des Komödiantenweſens, der vagirenden Muſiker, Jongleurs und andrer heimathloſer Leute ihrer Art. Der Ritter und der Bürger verachtete dieſe Sitte. Allein ſchon in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ſind in der Provence, der Heimath der Romantik und der Liebesthorheiten, die Zatteln beim Ritterſtande vollkommen eingebürgert. Die Herren der Liebeshöfe — wir haben eine Miniature vor uns — tragen die Gugel um die Schultern, von deren unterem Rand die Zatteln, lang und ſpitz, bis zum Gürtel herabfallen; ſelbſt der Rand der Kaputze, wo er das Geſicht umfaßt, iſt tief ausgezackt. Der kurze, enge Rock reicht kaum auf die Oberſchenkel, aber die gezackten Lappen fallen bis gegen die Kniee herab. Von den Ellbogen reichen die Doppelärmel in langen, ſchmalen Schwänzen bis nahe auf den Boden. Ebenſo zeigt ſich die Mode in Deutſch- land bei den vornehmen Ständen ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, und der Rath zu Speier verbietet (1356) „die unter den Augen zerſchnitzelten Kugelhüte“. Aber die Zatteln beſchränken ſich nicht auf die Gugeln und kurzen Röcke; Mäntel,

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/226>, abgerufen am 24.11.2024.