Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
vaganten Geistes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert,
und es kann daher ziemlich gleichgültig sein, von wo man ihren
Ursprung herleitet. Sie ist nicht auf einmal in voller Größe als
ein fertiges Geschöpf der Laune in's Dasein gerufen worden --
so kühn ist die Mode nicht --, sondern allmählig aus dem reichen
Stoff, der weit und faltig schon im dreizehnten Jahrhundert die
Füße der Damen umfloß, hervorgewachsen. Aber bereits im
Anfang des vierzehnten muß sie in Frankreich durch ihre Größe
auffallend gewesen sein, denn als sich Kaiser Heinrichs VII. Sohn
Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der französischen
Prinzessin Elisabeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug sie
"ein sehr langes Kleid nach französischer Mode." In Deutschland
aber erregte sie erst im Beginn des fünfzehnten die Aufmerksamkeit
der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrigst wachenden städti-
schen Lenker. Selbst fürstliche Damen scheinen noch längere Zeit
dieser Mode sich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche
der Familie des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg angehö-
ren (um 1400), wie sie auf dem Wandgemälde im Kloster Heils-
bronn in knieender Stellung abgebildet sind, haben offenbar
Kleider ohne Schleppen; man sieht die Füße mit spitzen Schnür-
schuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe.

Der Rath von München ist der erste, welcher der Schleppe
eine bestimmte Länge vorschreibt; nur die Breite eines Fingers
erlaubt er. Der Rath zu Ulm gestattet einige Jahre später doch
schon ein viertel Elle, die er freilich sechs Jahre darauf wieder auf
die Hälfte beschränkte. Die Obrigkeit von Modena gestattete da-
mals ein ganze Elle, aber sie hielt hierauf mit solcher Strenge,
daß sie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich
aufstellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen sofort
daran gemessen würden. In Frankreich existirte die Schleppe
schon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus-
gebildetsten Gestalt, wonach sie einer besondern Person zum Tra-
gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes
Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile gespalten
hat: die vordere Hälfte trägt sie selbst auf dem linken Arm, die

14*

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
vaganten Geiſtes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert,
und es kann daher ziemlich gleichgültig ſein, von wo man ihren
Urſprung herleitet. Sie iſt nicht auf einmal in voller Größe als
ein fertiges Geſchöpf der Laune in’s Daſein gerufen worden —
ſo kühn iſt die Mode nicht —, ſondern allmählig aus dem reichen
Stoff, der weit und faltig ſchon im dreizehnten Jahrhundert die
Füße der Damen umfloß, hervorgewachſen. Aber bereits im
Anfang des vierzehnten muß ſie in Frankreich durch ihre Größe
auffallend geweſen ſein, denn als ſich Kaiſer Heinrichs VII. Sohn
Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der franzöſiſchen
Prinzeſſin Eliſabeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug ſie
„ein ſehr langes Kleid nach franzöſiſcher Mode.“ In Deutſchland
aber erregte ſie erſt im Beginn des fünfzehnten die Aufmerkſamkeit
der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrigſt wachenden ſtädti-
ſchen Lenker. Selbſt fürſtliche Damen ſcheinen noch längere Zeit
dieſer Mode ſich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche
der Familie des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg angehö-
ren (um 1400), wie ſie auf dem Wandgemälde im Kloſter Heils-
bronn in knieender Stellung abgebildet ſind, haben offenbar
Kleider ohne Schleppen; man ſieht die Füße mit ſpitzen Schnür-
ſchuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe.

Der Rath von München iſt der erſte, welcher der Schleppe
eine beſtimmte Länge vorſchreibt; nur die Breite eines Fingers
erlaubt er. Der Rath zu Ulm geſtattet einige Jahre ſpäter doch
ſchon ein viertel Elle, die er freilich ſechs Jahre darauf wieder auf
die Hälfte beſchränkte. Die Obrigkeit von Modena geſtattete da-
mals ein ganze Elle, aber ſie hielt hierauf mit ſolcher Strenge,
daß ſie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich
aufſtellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen ſofort
daran gemeſſen würden. In Frankreich exiſtirte die Schleppe
ſchon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus-
gebildetſten Geſtalt, wonach ſie einer beſondern Perſon zum Tra-
gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes
Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile geſpalten
hat: die vordere Hälfte trägt ſie ſelbſt auf dem linken Arm, die

14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0229" n="211"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/>
vaganten Gei&#x017F;tes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert,<lb/>
und es kann daher ziemlich gleichgültig &#x017F;ein, von wo man ihren<lb/>
Ur&#x017F;prung herleitet. Sie i&#x017F;t nicht auf einmal in voller Größe als<lb/>
ein fertiges Ge&#x017F;chöpf der Laune in&#x2019;s Da&#x017F;ein gerufen worden &#x2014;<lb/>
&#x017F;o kühn i&#x017F;t die Mode nicht &#x2014;, &#x017F;ondern allmählig aus dem reichen<lb/>
Stoff, der weit und faltig &#x017F;chon im dreizehnten Jahrhundert die<lb/>
Füße der Damen umfloß, hervorgewach&#x017F;en. Aber bereits im<lb/>
Anfang des vierzehnten muß &#x017F;ie in Frankreich durch ihre Größe<lb/>
auffallend gewe&#x017F;en &#x017F;ein, denn als &#x017F;ich Kai&#x017F;er Heinrichs <hi rendition="#aq">VII.</hi> Sohn<lb/>
Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Prinze&#x017F;&#x017F;in Eli&#x017F;abeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;ein &#x017F;ehr langes Kleid nach franzö&#x017F;i&#x017F;cher Mode.&#x201C; In Deut&#x017F;chland<lb/>
aber erregte &#x017F;ie er&#x017F;t im Beginn des fünfzehnten die Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrig&#x017F;t wachenden &#x017F;tädti-<lb/>
&#x017F;chen Lenker. Selb&#x017F;t für&#x017F;tliche Damen &#x017F;cheinen noch längere Zeit<lb/>
die&#x017F;er Mode &#x017F;ich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche<lb/>
der Familie des Burggrafen Friedrich <hi rendition="#aq">V.</hi> von Nürnberg angehö-<lb/>
ren (um 1400), wie &#x017F;ie auf dem Wandgemälde im Klo&#x017F;ter Heils-<lb/>
bronn in knieender Stellung abgebildet &#x017F;ind, haben offenbar<lb/>
Kleider ohne Schleppen; man &#x017F;ieht die Füße mit &#x017F;pitzen Schnür-<lb/>
&#x017F;chuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe.</p><lb/>
              <p>Der Rath von München i&#x017F;t der er&#x017F;te, welcher der Schleppe<lb/>
eine be&#x017F;timmte Länge vor&#x017F;chreibt; nur die Breite eines Fingers<lb/>
erlaubt er. Der Rath zu Ulm ge&#x017F;tattet einige Jahre &#x017F;päter doch<lb/>
&#x017F;chon ein viertel Elle, die er freilich &#x017F;echs Jahre darauf wieder auf<lb/>
die Hälfte be&#x017F;chränkte. Die Obrigkeit von Modena ge&#x017F;tattete da-<lb/>
mals ein ganze Elle, aber &#x017F;ie hielt hierauf mit &#x017F;olcher Strenge,<lb/>
daß &#x017F;ie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich<lb/>
auf&#x017F;tellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen &#x017F;ofort<lb/>
daran geme&#x017F;&#x017F;en würden. In Frankreich exi&#x017F;tirte die Schleppe<lb/>
&#x017F;chon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus-<lb/>
gebildet&#x017F;ten Ge&#x017F;talt, wonach &#x017F;ie einer be&#x017F;ondern Per&#x017F;on zum Tra-<lb/>
gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes<lb/>
Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile ge&#x017F;palten<lb/>
hat: die vordere Hälfte trägt &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t auf dem linken Arm, die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0229] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. vaganten Geiſtes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, und es kann daher ziemlich gleichgültig ſein, von wo man ihren Urſprung herleitet. Sie iſt nicht auf einmal in voller Größe als ein fertiges Geſchöpf der Laune in’s Daſein gerufen worden — ſo kühn iſt die Mode nicht —, ſondern allmählig aus dem reichen Stoff, der weit und faltig ſchon im dreizehnten Jahrhundert die Füße der Damen umfloß, hervorgewachſen. Aber bereits im Anfang des vierzehnten muß ſie in Frankreich durch ihre Größe auffallend geweſen ſein, denn als ſich Kaiſer Heinrichs VII. Sohn Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der franzöſiſchen Prinzeſſin Eliſabeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug ſie „ein ſehr langes Kleid nach franzöſiſcher Mode.“ In Deutſchland aber erregte ſie erſt im Beginn des fünfzehnten die Aufmerkſamkeit der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrigſt wachenden ſtädti- ſchen Lenker. Selbſt fürſtliche Damen ſcheinen noch längere Zeit dieſer Mode ſich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche der Familie des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg angehö- ren (um 1400), wie ſie auf dem Wandgemälde im Kloſter Heils- bronn in knieender Stellung abgebildet ſind, haben offenbar Kleider ohne Schleppen; man ſieht die Füße mit ſpitzen Schnür- ſchuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe. Der Rath von München iſt der erſte, welcher der Schleppe eine beſtimmte Länge vorſchreibt; nur die Breite eines Fingers erlaubt er. Der Rath zu Ulm geſtattet einige Jahre ſpäter doch ſchon ein viertel Elle, die er freilich ſechs Jahre darauf wieder auf die Hälfte beſchränkte. Die Obrigkeit von Modena geſtattete da- mals ein ganze Elle, aber ſie hielt hierauf mit ſolcher Strenge, daß ſie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich aufſtellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen ſofort daran gemeſſen würden. In Frankreich exiſtirte die Schleppe ſchon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus- gebildetſten Geſtalt, wonach ſie einer beſondern Perſon zum Tra- gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile geſpalten hat: die vordere Hälfte trägt ſie ſelbſt auf dem linken Arm, die 14*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/229
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/229>, abgerufen am 24.11.2024.