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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
größten Luxus hierin trieben wohl die Damen Piacenzas. Sie
gingen gern in bloßem Kopfe und bedeckten ihr Haar mit gewun-
denen Gold- und Silberblättchen, mit Perlen und Edelsteinen
im Werth von 70 bis 100 Ducaten, und durchschlangen es mit
Perlschnüren im Werth von 100 bis 125 Ducaten. Wie neidisch
mögen die schönen und doch so reichen Ulmerinnen gewesen sein,
die nur mit einer einzigen und nicht kostbaren Perlschnur das
Haar schmücken durften!

Mehr und mehr wurde es seit dem Beginn des funfzehnten
Jahrhunderts Sitte, das in starken Flechten um die Ohren ge-
legte Haar mit rothen oder goldenen Säckchen haubenartig zu be-
decken und dieselben netzförmig mit Perlen und Steinen zu be-
setzen. Mit kostbarer Nadel war dann ein feiner, auch goldgestick-
ter Schleier vorn über der Stirn befestigt. Er war so lang, daß
er auf den Boden herabfallen konnte, doch die Damen drappirten
ihn um sich gleich der Sendelbinde. So ist der Kopfputz der
schönen Fee auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg und
auch der, den des Königs Nichte trägt, da sie nach dem Tode
ihres jungen Gemahls zum Kloster reitet, während beim festlichen
Turnier und beim Hochzeitsmahl eine goldene Krone über ihrem
Schleier ruht. An seinem Sterbebett aber hat sie den Kopf mit
einem langen weißen Tuch schleierartig verhüllt. Es ist die alte
"Rise", welche bei ehrbaren Frauen fort und fort das ganze funf-
zehnte Jahrhundert hindurch in mancherlei Gestalt eine Rolle
spielt. Oft mag es so fein gewesen sein, daß es einem Schleier
gleichkam. In der Drappirung dieses weißen, bisweilen goldge-
säumten und feingezackten Tuches, wie es um das Haupt gelegt
wurde, verhüllend und andeutend, wie es von der Schulter sanft
herabfloß, konnten die Damen wie die Künstler, allen Ungestal-
ten jener Zeit zum Trotz, wirklichen und hohen Schönheitssinn
offenbaren. Ich erinnere hier an den schönen Grabstein der Agnes
Bernauer (gest. 1435), der dem Tode und dem Leben zugleich
nachgebildet ist *): das liebliche im Tode entschlafene Gesicht ist

*) Hefner II, 113.

II. Das Mittelalter.
größten Luxus hierin trieben wohl die Damen Piacenzas. Sie
gingen gern in bloßem Kopfe und bedeckten ihr Haar mit gewun-
denen Gold- und Silberblättchen, mit Perlen und Edelſteinen
im Werth von 70 bis 100 Ducaten, und durchſchlangen es mit
Perlſchnüren im Werth von 100 bis 125 Ducaten. Wie neidiſch
mögen die ſchönen und doch ſo reichen Ulmerinnen geweſen ſein,
die nur mit einer einzigen und nicht koſtbaren Perlſchnur das
Haar ſchmücken durften!

Mehr und mehr wurde es ſeit dem Beginn des funfzehnten
Jahrhunderts Sitte, das in ſtarken Flechten um die Ohren ge-
legte Haar mit rothen oder goldenen Säckchen haubenartig zu be-
decken und dieſelben netzförmig mit Perlen und Steinen zu be-
ſetzen. Mit koſtbarer Nadel war dann ein feiner, auch goldgeſtick-
ter Schleier vorn über der Stirn befeſtigt. Er war ſo lang, daß
er auf den Boden herabfallen konnte, doch die Damen drappirten
ihn um ſich gleich der Sendelbinde. So iſt der Kopfputz der
ſchönen Fee auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg und
auch der, den des Königs Nichte trägt, da ſie nach dem Tode
ihres jungen Gemahls zum Kloſter reitet, während beim feſtlichen
Turnier und beim Hochzeitsmahl eine goldene Krone über ihrem
Schleier ruht. An ſeinem Sterbebett aber hat ſie den Kopf mit
einem langen weißen Tuch ſchleierartig verhüllt. Es iſt die alte
„Riſe“, welche bei ehrbaren Frauen fort und fort das ganze funf-
zehnte Jahrhundert hindurch in mancherlei Geſtalt eine Rolle
ſpielt. Oft mag es ſo fein geweſen ſein, daß es einem Schleier
gleichkam. In der Drappirung dieſes weißen, bisweilen goldge-
ſäumten und feingezackten Tuches, wie es um das Haupt gelegt
wurde, verhüllend und andeutend, wie es von der Schulter ſanft
herabfloß, konnten die Damen wie die Künſtler, allen Ungeſtal-
ten jener Zeit zum Trotz, wirklichen und hohen Schönheitsſinn
offenbaren. Ich erinnere hier an den ſchönen Grabſtein der Agnes
Bernauer (geſt. 1435), der dem Tode und dem Leben zugleich
nachgebildet iſt *): das liebliche im Tode entſchlafene Geſicht iſt

*) Hefner II, 113.
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[232/0250] II. Das Mittelalter. größten Luxus hierin trieben wohl die Damen Piacenzas. Sie gingen gern in bloßem Kopfe und bedeckten ihr Haar mit gewun- denen Gold- und Silberblättchen, mit Perlen und Edelſteinen im Werth von 70 bis 100 Ducaten, und durchſchlangen es mit Perlſchnüren im Werth von 100 bis 125 Ducaten. Wie neidiſch mögen die ſchönen und doch ſo reichen Ulmerinnen geweſen ſein, die nur mit einer einzigen und nicht koſtbaren Perlſchnur das Haar ſchmücken durften! Mehr und mehr wurde es ſeit dem Beginn des funfzehnten Jahrhunderts Sitte, das in ſtarken Flechten um die Ohren ge- legte Haar mit rothen oder goldenen Säckchen haubenartig zu be- decken und dieſelben netzförmig mit Perlen und Steinen zu be- ſetzen. Mit koſtbarer Nadel war dann ein feiner, auch goldgeſtick- ter Schleier vorn über der Stirn befeſtigt. Er war ſo lang, daß er auf den Boden herabfallen konnte, doch die Damen drappirten ihn um ſich gleich der Sendelbinde. So iſt der Kopfputz der ſchönen Fee auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg und auch der, den des Königs Nichte trägt, da ſie nach dem Tode ihres jungen Gemahls zum Kloſter reitet, während beim feſtlichen Turnier und beim Hochzeitsmahl eine goldene Krone über ihrem Schleier ruht. An ſeinem Sterbebett aber hat ſie den Kopf mit einem langen weißen Tuch ſchleierartig verhüllt. Es iſt die alte „Riſe“, welche bei ehrbaren Frauen fort und fort das ganze funf- zehnte Jahrhundert hindurch in mancherlei Geſtalt eine Rolle ſpielt. Oft mag es ſo fein geweſen ſein, daß es einem Schleier gleichkam. In der Drappirung dieſes weißen, bisweilen goldge- ſäumten und feingezackten Tuches, wie es um das Haupt gelegt wurde, verhüllend und andeutend, wie es von der Schulter ſanft herabfloß, konnten die Damen wie die Künſtler, allen Ungeſtal- ten jener Zeit zum Trotz, wirklichen und hohen Schönheitsſinn offenbaren. Ich erinnere hier an den ſchönen Grabſtein der Agnes Bernauer (geſt. 1435), der dem Tode und dem Leben zugleich nachgebildet iſt *): das liebliche im Tode entſchlafene Geſicht iſt *) Hefner II, 113.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/250>, abgerufen am 22.11.2024.