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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen
Taille herrscht so ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun-
dert, namentlich auch am französischen und burgundischen Hofe;
nur die schlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes sich wohl
bewußt, wollen sich den schönen Wuchs noch lange nicht verun-
stalten lassen: sie sind die letzten, bei denen die hohen Gürtel
Eingang finden, und die ersten, welche sie wieder aufgeben.

Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch,
im Gegentheil erscheint er als Hoike für die Frauen außerhalb
des Hauses, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche,
als von einer gewissen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit
von Hildesheim (1422) verlangte es sogar ausdrücklich, daß die
Frauen, wenn sie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind-
betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß sie über ihre schönen
Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen sollten. Mehr und
mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück
auf die Brust, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder
wie früher unter dem Halse befestigt. Die tolle Modelaune drückt
aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der
Beschreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das
Jahr 1400: "Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten,
unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit
einem dicken, gestärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und
hießen Kragenmäntel." Die Damen von Piacenza, deren Schmuck-
liebe uns schon bekannt ist, bedurften sogar dreier Mäntel, abge-
sehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von
Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, sie
besaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten.
Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.

Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als
der Mäntel, zumal da sie nach wie vor immer zwei trugen. Die
Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein-
siedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der
Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel-
tend, daß sie zehn Paar Kleider besessen habe, zehn lange und

II. Das Mittelalter.
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen
Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun-
dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe;
nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl
bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun-
ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel
Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.

Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch,
im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb
des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche,
als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit
von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die
Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind-
betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen
Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und
mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück
auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder
wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt
aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der
Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das
Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten,
unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit
einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und
hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck-
liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge-
ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von
Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie
beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten.
Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.

Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als
der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die
Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein-
ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der
Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel-
tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und

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[234/0252] II. Das Mittelalter. und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun- dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe; nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun- ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben. Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch, im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche, als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind- betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten, unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck- liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge- ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten. Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen. Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein- ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel- tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/252>, abgerufen am 22.11.2024.